Die Stunde Der Toechter
wissenschaftlich erwiesen war oder nicht. Später am Abend wollte sie noch Tamaras Mutter besuchen. Sie befürchtete, dass Claudia wieder zu trinken anfing. Vor Kummer. Claudia Escher war zu Hause. Johanna war am Mittag kurz bei ihr gewesen.
»Bist du noch da?«
»Ja, klar. Ich höre dich gut. Schieß los.«
»Werner hat erwähnt, dass sein Sohn eine Wohnung hatte. Ein Loft. Das war in den Achtzigerjahren der letzte Schrei. Ein paar Jahre nach Karls Verschwinden hat Hügli das meiste verkauft oder vernichtet, was ihn an seinen Sohn erinnerte. Einzig die Wohnung hat er behalten. Weil man nie sicher ist, ob der Bub eines Tages doch nicht wieder auftaucht, hat er mir gesagt.«
Interessiert hörte Johanna zu.
»Vielleicht lautet diese Liegenschaft immer noch auf Karl. Nicht auf Werner. Weißt du, was ich meine?«
»Ja, das klingt interessant. Hat Hügli dir gesagt, wo die Wohnung war?«
»Es könnte sein, dass er Oerlikon erwähnt hat. Ich erinnere mich nicht so genau. Es war ein Gespräch am Rande. Nichts Wichtiges.«
»Danke, Martin. Vielleicht hilft es mir weiter.«
Johanna beendete das Gespräch und ging wieder in die Kneipe hinein. Sie nahm ihre Jeansjacke vom Stuhl. Wenn sie sich sputete, erreichte sie noch jemanden auf dem Vermessungsamt. Um Johannas Frustration zu lindern, waren Grazia, Köbi und sie früher als üblich an die Tränke gegangen.
»Ich muss nochmals in Büro.«
Köbi brummelte etwas Unverständliches. Die Jukebox lärmte. Irgendein Scheintoter hatte Led Zeppelin angewählt.
Grazia machte ein besorgtes Gesicht. »Sei vorsichtig, Jo. Ruf uns an, bevor du irgendwelche Alleingänge machst.«
Johanna winkte ab und lief zum Ausgang.
»Jo? Versprich es mir! Jo!«
Sie drehte sich um. »Also gut, ihr Hosenscheißer. Ich rufe an.«
Von der Bar aus war sie schneller in der Wache Aussersihl als bei der Kripo. Dort schaltete sie den Computer ein und nahm das Telefon zur Hand. Es war mühsamer als erwartet. Offenbar arbeiteten nach fünf nicht mehr viele Leute in der Stadtverwaltung. Dafür erreichte sie von Kranach. Der wiederum rief einen Chef von irgendjemandem an. Allerdings hatte sie ihm dafür versprechen müssen, keine Alleingänge zu machen. Auch ihm. Plötzlich rissen sich die Kollegen darum, ihr das Händchen zu halten.
Johanna ging in die Kaffeeecke. Dort schlürfte sie den stärksten Espresso seit Menschengedenken. Dabei schaute sie zu, wie der Hunter in frischer Pracht vor dem Matterhorn posierte. Es war zwar ein Militärflugzeug. Aber sehr bedrohlich sah es nicht aus.
Nach einer Dreiviertelstunde erhielt Johanna einen Anruf von einer unfreundlichen Frau. Sie brüllte eine Adresse und den Namen einer Firma durch den Hörer. Diese war die aktuelle Besitzerin der Liegenschaft. Seit ungefähr zwanzig Jahren. Der frühere Besitzer hatte Karl Cassius Hügli geheißen. Der Name sei genauso daneben wie die Idee, ihr nach Feierabend den Chef auf den Hals zu hetzen, um eine Adresse herauszufinden. Dafür gebe es Telefonbücher.
Die Frau hängte auf.
Johanna setzte sich an den PC. Es dauerte nicht lange, bis sie die Unternehmung gefunden hatte. Es war eine Einzelfirma. Sie gehörte einer Frau, die denselben Nachnamen hatte wie Hüglis verstorbener Anwalt. Mehr musste sie nicht wissen.
Sie rief von Kranach an. »Ich fahre nach Oerlikon und schaue mir die Bude an.«
»Bist du allein?«
»Das Mitgefühl aller Stadtpolizisten dieser Welt begleitet mich.«
Sie hängte auf und schnallte ihr Schulterholster um. Umgehend klingelte ihr Handy. Mit von Kranach sollte sie es sich nicht verbocken. Also nahm sie das Gespräch an.
»Ich habe keine Zeit, auf Verstärkung zu warten, Kev. Es geht um Tamara. Aber ich rufe an, sobald ich etwas herausgefunden habe. Vielleicht ist es ein Fehlalarm. Ich will einfach sicher sein, dass wir wirklich alles Menschenmögliche getan haben.«
»Also, meinetwegen.« Er klang nicht überzeugt. »Aber ruf mich an, sobald du weißt, ob die Spur heiß ist oder kalt. Auf keinen Fall gehst du allein in das Haus! Verstanden?«
»Ay Sir.«
Dann eilte sie in die Tiefgarage und holte ihren Dienstwagen. Sie wusste ungefähr, wo die Liegenschaft lag. Das Zermürbendste war, im Abendverkehr durch die Langstrasse zu kommen. Als sie endlich die Limmat überquerte hatte, war sie entnervt. Seit Montagnacht stand sie unter Hochspannung. Sie hatte das Gefühl, Tamara im Stich gelassen zu haben.
Endlich in Oerlikon angelangt, fand Johanna die Adresse auf Anhieb. Sie war in der
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