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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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aufblickte, merkte er, daß Bindig, der neben ihm saß, ebenfalls zu den Russen hinübersah. Er stieß ihn an.
    „Du ...", sagte er leise, „ich möchte wissen, was die jetzt denken."
    Die anderen Fallschirmjäger dösten vor sich hin oder spielten Karten. Sie stritten sich über die Haarfarbe irgendeines Weibes, einer gemeinsamen Bekannten, rauchten nervös oder bissen von der Schokolade ab, die sie mitbekommen hatten. Timm lag ausgestreckt auf der Bank, den Kopf gegen die Wand gestützt, und schien zu schlafen.
    „Ob sie überhaupt denken?" fragte Bindig.
    Zado bewegte die Schultern. Während er nach einer Zigarette griff, sagte er nachdenklich: „Ich glaube, sie denken. Was denkst du? Anna?"
    „Hör auf davon", antwortete Bindig nach einer Pause, „ich denke darüber nach, was daraus werden soll."
    „Woraus?"
    „Daraus!" sagte Bindig und deutete mit einer Handbewegung auf die Uniform. „Daraus und aus dem, was kommt."
    Zado verzog das Gesicht. Es bekam einen weichen Zug, der nicht mehr zu der Schärfe seines Profils paßte. Er legte ganz langsam eine Hand auf Bindigs Knie und sagte: „Junge, hör auf zu denken. Es ist zu spät zum Denken."
    Der Obergefreite, dem die halbe Kiste mit dem Bols gehörte, schlug sich krachend auf die Schenkel. „Hab ich's doch gewußt, daß ich heute gewinne! Wie immer! Kurz vor dem Abkratzen verspielt ihr Scheiche euer Geld an mich, und wenn ich kassieren will, seid ihr krepiert! Diesmal wird vorher bezahlt!"
    Bindig schüttelte den Kopf. Er hatte die Pelzmütze verwegen schief aufgesetzt. Man konnte ihn für einen unternehmungslustigen Rotarmisten halten. Aber sein Gesicht paßte nicht zu diesem Eindruck. „Es gefällt mir nicht", sagte er, „keiner soll von mir verlangen, daß mir das gefällt."
    „Sie haben keinen gefragt, ob es ihm Spaß macht", knurrte Zado, „oder kannst du dich an so was erinnern?"
    „Zweimal As!" rief der Eigentümer der Bolskiste. „Runter mit den Hosen!" „Wenn so der Krieg aussieht, dann bin ich nicht mehr dafür zu gebrauchen", sagte Bindig zu Zado.
    Der schnaufte unwillig. „Gib dich zufrieden. Es ist scheißegal, in welcher Uniform man krepiert."
    „Aber ich sage dir, wir sind keine Soldaten mehr", erklärte Bindig, „wir sind Gauner. Mit dieser Uniform auf dem Leib sind wir nicht mehr Soldaten, sondern Gauner."
    „Und ich sage dir: Hör auf nachzudenken! Du bekommst unsichere Hände davon. Unsereiner stirbt daran."
    „Wir sollten das nicht machen", sagte Bindig gedämpft, „es ist nicht zu verantworten."
    „Du tust, als ob du es zu verantworten hättest. Wer hat die Idee ausgeknobelt? Wir oder der Stab?"
    „Noch eine!" schrie der Obergefreite. „Immer noch eine! Papa holt dich schon heim von der Hochzeit!"
    „Es widert mich an", sagte Bindig, „es hat mich noch nie so angewidert wie jetzt."
    Zado schüttelte den Kopf. Dabei sagte er leise: „Jesus Maria, wenn du doch bloß einsehen würdest, daß sich niemand dafür interessiert. Du hast nur eins zu tun, nämlich das, was Timm befiehlt. Mehr nicht. Du hast weder die Verantwortung für irgendetwas, noch interessiert es jemand, ob du unglücklich bist oder nicht. Wenn du doch das bloß einsehen würdest."
    „Was macht man bei uns mit einem Russen, den man hinter unserer Front in deutscher Uniform aufgreift?" fragte Bindig.
    Zado bewegte müde die Hand. „Friß deine Schokolade und denk nicht darüber nach. Oder hast du Angst?"
    „Ist das Angst, wenn ich sage, daß ich es für eine Gaunerei halte?"
    „Sie würden es dir als Angst auslegen. Und du könntest noch froh sein, wenn sie nur das täten und nicht sagten, es sei Hochverrat."
    „Es ist keine Angst."
    „Nein. Vielleicht Dummheit."
    „Zado", sagte Bindig, „du kannst mir nicht erzählen, daß es dir nichts ausmacht. Ich weiß, was du denkst. Du brauchst mir nichts zu sagen, ich weiß genau, was du denkst."
    „Auf den Tisch deine lumpigen drei Könige!" brüllte der Obergefreite. „Los, los! Das kostet was!"
    „Denken ist für uns ein unerlaubter Luxus", sagte Zado. Er brannte eine neue Zigarette an und stieß nachdenklich den Rauch aus, den Spiralen nachblickend, die er in der stickigen Luft zog. „Ich dachte immer, du hättest dich ebenso daran gewöhnt wie ich. Was willst du? Ich weiß alles, aber was willst du? Wir stecken drin und müssen weitermachen. Das ist die Chance durchzukommen. Alles andere, was du tust, verhilft dir nur dazu, todsicher zu krepieren. Durch die Feldgendarmerie, bei den

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