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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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zu der wir fahren ... Verstehen Sie mich richtig, haben Sie... sind Ihre Beziehungen in Anbetracht der ..."
    „Gestatten Sie", unterbrach ihn Warasin ruhig, „das ist leicht zu beantworten. Die Frau hat mich bei sich untergebracht. Sie hat einen ehrlichen Charakter und ist keine Faschistin. Sie ist auch keine Kommunistin. Aber ich bin Kommunist. Ich habe eine Frau, die ebenfalls an der Front steht. Und ich bin nicht der Mann, der aus unserem Kampf ein galantes Abenteuer macht. Wenn das Ihre Frage beantwortet ..."
    „Danke", sagte der andere, „verzeihen Sie. Ich mußte Sie danach fragen. Es ist meine Pflicht."
    „Ich verstehe", erwiderte Warasin. „Ihre Frage ist mir nicht unangenehm gewesen. Ich habe nichts zu verbergen."
    Während Warasin schwieg, sagte der andere: „Man lernt die Deutschen immer besser kennen. Eine Frau wie diese wird man achten müssen. Warum mag sie das alles getan haben?"
    Warasin biß sich auf die Lippen. Er hatte nichts zu verbergen. Aber er hatte doch nicht alles vor dem Genossen ausgebreitet, was sich abgespielt hatte, während er hinter der Front der Deutschen lebte.
    Er hatte Bindig verschwiegen, er wußte selbst nicht, weshalb eigentlich. Er hatte nichts zu verbergen. Auch nicht seine Begegnung mit Bindig. Aber er hatte sie verschwiegen, und das begann ihn schon jetzt zu quälen.
    Während er auf die Straße blickte, hörte er neben sich den anderen sagen: „Noch einen Monat vielleicht, dann werden wir marschieren. Rollen werden wir. Sie werden eine neue Kompanie führen. Den Rest Ihrer alten Leute hat man aufgeteilt. Und was für ein Deutschland werden wir vorfinden? Was für ein Deutschland wird das sein, nach dem, was wir allein in diesem einzelnen Falle für Erfahrungen machen?"
    Als der Wagen mit einem Ruck vor dem Gehöft hielt, erhob sich der Politleiter ächzend. Während er ausstieg, sagte er zu dem Fahrer: „Du hast meine Gesundheit auf dem Gewissen! Nur ein halber Mensch bin ich noch nach dieser Schaukelei. Komm mit und wärm dich ein bißchen auf. Damit du auf dem Rückweg besser den Löchern ausweichen kannst!"
    Anna stand vor der Tür. Sie hatte das Fahrzeug kommen hören. Sie kam den Männern einen Schritt entgegen, und als Warasin die Hand an die Pelzmütze legte, sagte sie leise: „Georgi, mein Gott, ich kann das noch gar nicht glauben. Bleibt ihr jetzt, oder müßt ihr wieder zurückgehen?"
    „Wir bleiben", sagte Warasin lächelnd, „wir werden nach Westen marschieren. Zurückgehen werden wir nicht mehr." Er deutete auf den anderen und sagte: „Ich möchte Ihnen den Politleiter meines Regiments vorstellen, Anna. Er ist das, was man in Deutschland einen Kommissar nennt. Er ist gekommen, um die Frau zu sehen, die der Roten Armee einen Offizier erhalten hat. Es ist der Genosse Balaschow."
    Sie tauschte einen Händedruck mit dem kleinen, untersetzten Mann im braunen Mantel. Dann trat sie beiseite und wies ins Haus. „Kommen Sie", forderte sie die Soldaten auf, „ich habe etwas warmen Kaffee auf dem Herd, Gerstenkaffee. Ich hoffe, Sie trinken ihn ..."
    Sie hockten auf Bänken in einem Raum, vor dem ein Posten stand. Sie durften den Raum verlassen, aber sie durften sich nicht auf dem Flugplatz sehen lassen. Kein anderer als sie durfte den Raum betreten. Von hier aus würden sie, wenn die Maschine bereitstand, zum Einstieg marschieren. Es würde dunkel sein, und keiner würde sie sehen. Wahrscheinlich würde nicht einmal der Pilot sie sehen, weil das Schott zwischen der Pilotenkabine und dem Laderaum des Flugzeuges geschlossen sein würde.
    Sie waren sechzehn Soldaten, und wenn sie so, wie sie jetzt aussahen, über den Flugplatz gegangen wären, hätte jeder Posten vermutlich ohne Anruf auf sie geschossen. Sie waren in die erdbraunen Uniformen der Roten Armee gekleidet. Es fehlte nichts an diesen Uniformen, weder die breiten Schulterstücke noch der rote Stern.
    Die Uniformen waren nicht neu. Es gab eine Menge Flecke auf dem Tuch, Ölflecke, Schmutz und getrocknetes Blut. An mancher Uniform waren die Löcher der Schüsse, die den letzten Träger getötet hatten, noch nicht gestopft.
    Die Männer achteten kaum darauf. Es war die stumpfe, spannungsgeladene Stunde vor dem Start. Es war die Zeit, da die Uhren zu stehen schienen. Die fünf Russen, die in einer Ecke beisammen saßen, stierten schweigend auf den Fußboden. Sie hatten, seit sie mit den anderen zusammen in diesem Raum hockten, noch kein Wort gewechselt.
    Zado beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Als er

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