Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
Vom Netzwerk:
brauchst dir nicht die Augen anzustrengen, Klaus. Es kommt keiner mehr. Die anderen vier sind tot." Er senkte den Kopf und zog an der Zigarette.
    „Alle?" fragte Timm. „Oder ist noch einer verwundet? Vielleicht kommt noch einer. Du bist auch gekommen!"
    „Nein!" sagte der Verletzte. „Es kommt keiner mehr. Sie sind tot. Sie sind bereits begraben. Ich habe gesehen, wie sie sie begraben haben."
    Er sprach mit schwerer Zunge, als bereite ihm das Sprechen Schmerzen. Er war matt und ausgeblutet. Nur der Schnaps hielt ihn aufrecht.
    „Ihr seid in die Bereitstellung hineingelaufen?" fragte Timm. „Sie war verflucht gut versteckt. Ich habe sie auch erst im letzten Augenblick gesehen."
    Der Verletzte nickte. Dann ließ er sich wieder zurückfallen und sprach liegend, ohne die anderen anzusehen, weiter.
    „Ich war allein. Ich war hinter den anderen. Nicht auf dem gleichen Weg, aber nicht weit davon weg. Ich habe es genau gesehen. Die beiden vor mir standen mit einemmal vor dem Posten. Er schoß sofort. Sie erschossen ihn, aber es war noch ein zweiter da, und der war versteckt. Der erschoß sie beide. Dann war das ganze Lager wach. Aber sie kümmerten sich nicht um die Toten. Sie suchten zuerst den Wald ab. Die beiden anderen von uns kamen auf die Schüsse hin zu uns gelaufen. Sie wollten uns helfen. Aber das war ihr Fehler. Es dauerte eine halbe Stunde, dann war das Gefecht entschieden. Tot.
    Alle."
    Er legte sich auf die Seite und schloß die Augen. Die anderen sagten nichts. Es war dunkel geworden. Der Himmel war klar wie am vorangegangenen Tag. Die Sterne waren noch blaß, aber sie nahmen von Minute zu Minute an Leuchtkraft zu. Es war still hier zwischen den Seen. Am Nachmittag hatte es ab und zu in der Ferne Motorengeräusche gegeben, aber sie waren nur leise und undeutlich hörbar gewesen. Irgendwo, auf der Straße, spielte sich der Verkehr ab.
    „Wenn ich nur wüßte, ob sie noch suchen", sagte Timm leise. Er dachte bereits an die Maschine, die hier landen würde. Gewiß, es würde schnell gehen, und sie würden wenige Minuten später wieder in der Luft sein. Aber es war ungewiß, ob sich nicht irgendwo zwischen den Seen Streifen herumtrieben.
    „Nein", sagte der Verletzte, „sie suchen nicht mehr. Sie haben damit aufgehört. Bis Mittag haben sie gesucht. Dann haben sie aufgehört. Sie haben nur die Posten verdoppelt."
    „Und du?" erkundigte sich Timm. „Wie hast du es angestellt, daß sie dich nicht erwischt haben? Wie hast du das alles sehen können, ohne daß sie dich fanden?"
    Der Verletzte bewegte leicht den linken Arm. Er verzog wieder das Gesicht dabei, und Timm fragte: „Tut es noch weh? Willst du noch Tabletten?"
    „Es geht", sagte der Verletzte, „den Tag über war es schlimmer. Sie haben mich nicht gesehen. Ich ging hinter den anderen. Als es knallte, stieg ich auf einen Baum. Ich war weit zurück, aber dann, als ich oben war, zogen sich die anderen zurück. Bis beinahe unter meinen Baum. Ich habe dort oben gehockt, und unten schossen sie einander tot. Es ging hin und her. Von links waren es Becker und Flix. Sie schossen ihre Magazine leer, aber hübsch langsam, so daß es lange vorhielt, was sie an Munition in den Taschen hatten. Zuletzt hatten sie nur noch die Pistolen. Und dann die Messer. Aber dazu kamen sie nicht. Die Russen hatten sie eingekreist, und sie hatten keine Chance mehr. Sie deckten sie mit Handgranaten zu, und das war das Ende. Mittag haben sie alle vier begraben. Tot. Aus."
    „Und du?" fragte Timm.
    Der Verletzte hob den Kopf. Seine Augen glänzten. Er hat Fieber, dachte Bindig, er wird in ein paar Stunden einen Schüttelfrost haben und niemand mehr kennen.
    „Ich?" sagte der Verletzte. „Ich habe in meinem Baum gehangen und nichts getan. Ich war froh, daß sie mich nicht sahen. Sie hatten diese verfluchten schwarzen Teufelskappen auf. Panzermänner. Kerle wie Bäume. Sie haben Becker und Flix begraben und die anderen beiden auch. Die hatten sie ein Stückchen weiter links erwischt. Der Wald war voll von diesen Teufelskappen. Sie ließen keinen Winkel aus, aber sie fanden nichts mehr. Ein Glück, daß sie keinen Hund hatten. Ein einziger lumpiger Köter, und ich wäre jetzt nicht hier..." Er verstummte und ließ den Kopf wieder sinken. Das Fieber begann ihn zu schütteln, Timm hielt ihm wieder die Wodkaflasche hin. Er spürte, wie die Zähne des Verletzten an den Flaschenhals schlugen.
    „Junge", sagte Timm, „wenn wir nach Hause kommen, werden sie uns anscheißen, weil

Weitere Kostenlose Bücher