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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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heraus. Er prüfte die Zünder oberflächlich und befestigte die beiden eiförmigen, geriffelten Stahlkörper dann an einer Schlaufe des Koppels. Er ließ den bereits aufgeknöpften russischen Mantel von der Schulter gleiten und nahm die Pelzmütze vom Helm. Er tat es nicht sonderlich schnell, gerade so, wie man etwas tut, was ebenso unbequem wie notwendig ist. Er zog den Lederriemen des Helmes fest und überzeugte sich, daß die erste Patrone des Magazins in der Kammer der Maschinenpistole lag. Zuletzt nahm er die Pistole und entfernte das Magazin. Er hatte in dem Bahnwärterhäuschen vier Schüsse abgegeben. Die Patronen fehlten in dem Magazin. Er griff in die Tasche und nahm vier Patronen, die er lose eingesteckt hatte. Er füllte das Magazin auf und schob es dann in die Pistole zurück; dann lud er die Waffe ebenfalls durch und sicherte sie nicht mehr.
    Als er damit fertig war, sagte er leise zu den beiden anderen : „Wollen wir hier liegenbleiben?"
    Aber er bekam keine Antwort, denn im gleichen Augenblick explodierte dort, wo vorher die Maschinenpistole gebellt hatte, eine Handgranate, und ein paar harte russische Stimmen riefen sich unverständliche Worte zu. Eine Trillerpfeife ertönte dazwischen, und dann fielen ein paar einzelne Schüsse.
    Es war, als erwache Timm aus einer Erstarrung, als die Trillerpfeife ertönte. Er hörte sie und hatte im gleichen Augenblick das Bild vor sich, das sich dort bot. Ein Zugführer, der seine Leute ansetzt, den Wald zu durchkämmen. Timm erhob sich automatisch. Er spürte mit einem Mal, daß er wieder der alte war. Er legte sich die Maschinenpistole zurecht und zwängte seinen Oberkörper durch die Zweige. Auf dem Pfad war nichts zu sehen. Er winkte den beiden und trat hinaus. Sie folgten ihm. Sie hasteten hinter Timm den Weg zurück, den sie gekommen waren. Wieder fielen hinter ihnen Schüsse. Aber sie galten nicht ihnen. Sie waren weit entfernt von dem Platz, an dem geschossen wurde. Es waren einzelne Gewehrschüsse, hallend und scharf, dazwischen Feuerstöße aus Maschinenpistolen. Timm hielt im Laufen inne und lauschte zurück. Dann sagte er leise: „Das war eine Beretta."
    Er sagte es so, als habe er bis zu diesem Augenblick noch daran geglaubt, daß die Schießerei zufällig oder versehentlich entstanden sei und seine Soldaten unentdeckt geblieben wären. Es klang wie eine traurige Feststellung.
    „Sie müssen weiter rechts von mir gegangen sein", sagte er. „Ich habe es mir gedacht. Die Sturmgeschütze stehen hintereinander. In der Dunkelheit sind sie nur durch einen Zufall zu entdecken."
    Die Beretta schoß noch immer. Sie gab kurze, sparsame Feuerstöße ab. Die anderen Waffen bellten bösartig, in lang-gezogenen, einander übertönenden Salven. Timm sagte nichts, aber er wußte, daß dort nur einer der Männer lag und sich verteidigte. Entweder waren die anderen tot, oder sie hatten diesen einen aufgegeben. Es war schwer zu entscheiden, ob sie damit richtig gehandelt hatten.
    „Was willst du?" erkundigte sich Zado. Timm deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und sagte schnell: „Zurück bis an den Waldrand, und dann immer am Waldrand entlang nach Osten, bis wir aus diesem Tohuwabohu heraus sind."
    Zado nickte. Sie hasteten weiter, und das Geknatter der Schüsse hinter ihnen wurde von Minute zu Minute schwächer. Dann hörte die Beretta auf zu schießen.
    „Aus!" sagte Zado heiser. „Er hat ziemlich lange ausgehalten." Aber in diesem Augenblick begann viel weiter links ebenfalls eine Beretta zu schießen, und in ihre Feuerstöße mischten sich die dumpf klingenden Explosionen von Handgranaten.
    Timm verzog das Gesicht. Er sah aus, als habe er Schmerzen. Aber die anderen sahen es nicht. Timm überlegte, ob von den Männern noch einer übrigbleiben würde. Es ist die beste Gruppe aus dem ganzen Haufen, dachte er. Die jungen Kerle sind die Besten. Und sie knallen sie mir einen nach dem anderen ab.
    Sie hatten den Waldrand schnell erreicht. An der Brücke rührte sich nichts. Aber in der Luft lag eine feine Spur von Rauch. Timm begriff, daß der Kessel der Lokomotive explodiert war.
    Sie bewegten sich im Rücken des Waldes nach Osten und machten einen großen Bogen, der sie weit von der Stelle wegführte, an der die Sturmgeschütze standen, aber auch weit von den Seen weg, zwischen denen die Maschine sie abholen sollte. Timm hatte sich die Karte genau eingeprägt. Er ließ Zado und Bindig ihre Kartenblätter ebenfalls vernichten, und sie

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