Die Stunde der toten Augen
nicht jeder Timm. Manche heißen anders, und die wissen auch, wo die Feldgendarmerie wohnt."
Zado holte aus der Wadentasche die Blechflasche mit dem Kognak. Er hielt sie Timm hin und sagte: „Da, trink einen Schluck. Es ist eine verfluchte Zeit. Man hockt hier an diesem See und weiß nicht, was man von der Welt halten soll. Und das von Hitler und den Weibern habe ich nur zu dir gesagt."
Timm trank. Er wischte sich den Mund mit der flachen Hand ab und gab Zado die Flasche zurück. „Guter Schnaps", sagte er. „Manchmal bin ich Klaus Timm. Aber manchmal bin ich auch für die Kampfmoral in meinem Zug verantwortlich, Zado. Vergiß das nicht."
„In Ordnung, Klaus", sagte Zado, „ich werde dir keinen Ärger machen. Ich werde die Schnauze halten, bis alles vorbei ist, und dann werden wir vielleicht erfahren, was Demokratie ist und was Kriegsverbrecher sind und ob es der Führer mit Weibern konnte oder nicht. Ist in Ordnung." Timm hob ruckartig den Kopf. Er lauschte ins Dunkel und drehte den Kopf nach allen Seiten, um das schwache Geräusch aufzufangen, das in der Luft war. Es kam näher und wurde lauter. Timm sah nach der Uhr. Der kleine Zeiger stand auf der Zwei. Es war die Junkers. Timm hetzte los und zündete die Lichter an der einen Seite an, während Zado sie an der anderen Seite in Brand setzte. Die Maschine zog eine Kurve, glitt abwärts und setzte auf. Sie wendete sofort und schob sich wieder in Startposition. Es ging alles wie einexerziert vor sich. Sie schleppten den Verletzten zum Einstieg. Er phantasierte, als sie ihn anhoben, und begann laut zu schreien. Sie achteten jetzt nicht mehr darauf, denn das Motorengeräusch der Maschine war ohnehin laut genug, um alles in der Gegend aufmerksam zu machen. Sie beeilten sich nur, in die Maschine zu kommen. Der Funker schob die Tür hinter ihnen zu. Die Magnesiumfackeln brannten noch, als der Pilot den Motor wieder auf Touren laufen ließ. Die Maschine startete mühelos. Sie rumpelte ein paar hundert Meter über den Boden, dann hob sie sich und zog über den See zur Linken davon. Unten brannten langsam die Magnesium fackeln aus. Vier kleine, immer winziger werdende Lichtpunkte.
„Was ist los?" fragte der Funker, derselbe, mit dem sie eingeflogen waren. „Nur noch vier Mann?"
„Sie haben sie begraben...", brabbelte der Verletzte. Er lag auf dem Boden der Maschine. Sie hatten ihm ein paar Fetzen untergeschoben. Er fieberte jetzt stark, über dem Ruß auf seinem Gesicht standen die Schweißtropfen.
Die anderen drei saßen abgekämpft auf den Bänken. Sie hatten die Waffen abgelegt und die Stahlhelme abgeschnallt. In der Maschine roch es nach Treibstoff und Schmieröl. Es war eine alte, längst ausgediente Maschine. Aber sie flog ruhig und zuverlässig. Nicht sehr schnell und nicht wendig. Nur eben ein Flugzeug, das sich von der Erde erheben konnte.
„Eure Aufklärer haben uns das eingerührt", sagte Timm mit einemmal gereizt zu dem Funker. „Einen Dreck haben sie gemacht, aber nicht aufgeklärt. Sehen nicht mal eine Kolonne von Sturmgeschützen im Wald! Die vier gehen auf euer Konto, auf euer Pilotenkonto und auf euer Beobachterkonto mit Schokakola und Tee in Thermosflaschen und gelben Schals und dicken Siegelringen!"
Der Funker schüttelte betroffen den Kopf. Er sagte: „Es tut mir leid. Vielleicht war wirklich einer von uns daran schuld. Aber vielleicht waren auch die Russen daran schuld. Ihr denkt immer, das sind Nippesfiguren oder Trottel. Aber die wissen auch, wie man Krieg führt. Manchmal sind sie schlauer als wir ..."
„Manchmal...", sagte Timm, „manchmal habe ich den Eindruck, daß ausgerechnet ihr Schlipshelden uns erzählen wollt, was die Russen können. Das wissen wir selber. Besser als ihr..."
Der Funker zog sich zurück, ohne noch ein Wort zu sagen. Er flog nicht zum erstenmal eine solche Gruppe und wußte, wie die Nerven dieser Leute aussahen, wenn man sie abholte. Er schob das Schott hinter sich zu und ließ die Männer allein.
„Sie haben sie begraben ...", phantasierte der Verletzte, „und ihr seid schuld daran! Ihr habt sie umgebracht! Ihr!" Er schrie, aber es klang schwach in dem Gedonner des Motors. Timm ließ den Kopf wieder sinken und starrte auf seine Schuhspitzen. Seine Finger krümmten sich auf den Knien.
„Ruhig!" sagte Zado zu dem Verletzten. „Ganz ruhig, Kleiner! Jetzt bist du gleich zu Hause. Dann kommen die Karbolmäuschen und geben dir jeden Abend einen Gutenachtkuß, und wenn du die Flosse wieder bewegen kannst,
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