Die Stunde der toten Augen
ausfindig."
„Wenn das Tauwetter kommt, ist es damit vorbei", meinte Bindig. „Dann kann hier keine Maschine mehr landen."
„Dann machen wir es wie früher", erklärte Timm, „wir gehen zu Fuß und machen uns eine Schleuse."
Eine Schleuse machen hieß durch die Schützenlinien der Roten Armee die Front überqueren. Sie hatten das in der Vergangenheit einige Male gemacht. Die Schützenlinien der Roten Armee waren oft ziemlich locker angelegt. Meist gab es kein Stellungssystem, das aus Gräben bestand. Die Soldaten lagen in kleinen, tiefen Erdlöchern, die in weiten Abständen voneinander angelegt waren.
Bindig entsann sich an das letztemal, als sie auf diese Weise die Front überquert hatten. Zwei von ihnen waren, nachdem sich die Gruppe ungesehen durch die Etappe mit ihren Ansammlungen von Fahrzeugen und Trossen und durch die Artilleriestellungen hatte durchschleichen können, vorausgekrochen. Sie hatten die Soldaten in zwei benachbarten Schützenlöchern überfallen und geräuschlos umgebracht. So entstand eine Gasse, durch die sich die Gruppe ungesehen über die Frontlinie hinwegstehlen konnte. Noch während Bindig darüber nachdachte, hörte er Timm sagen; „Freu dich doch auf das Tauwetter! Da kannst du in den Löchern ab und zu wenigstens wieder einen umlegen und kommst auf deine Kosten!"
Sie hatten sich bis an die Straße herangearbeitet. Aber diese Straße wurde so stark befahren, daß es unmöglich war, mit den Minen an sie heranzukommen. Timm führte deshalb Bindig wieder ein Stück zurück, bis sie eine schmale, stark verschneite und wenig befahrene Waldstraße fanden, die von der Hauptstraße weg irgendwohin ins Hinterland führte.
„Das ist richtig", sagte Timm zufrieden, „hier werden wir in aller Seelenruhe ein Ding drehen, und sie werden es noch nicht einmal bis an die Hauptstraße hören!"
Rechts und links war dichter, an den Straßenrändern mit Büschen verfilzter Fichtenwald. Sie gingen, bis einige Kilometer zwischen der Hauptstraße und ihnen lagen, dann durchsuchten sie die Gegend nach verschiedenen Richtungen. Es hielt sich niemand hier auf. Doch in einiger Entfernung war plötzlich Motorengeräusch, und bald darauf tasteten sich die geschlitzten Scheinwerfer eines Fahrzeugs heran. Es war ein Lastwagen, der sich langsam in einer tief ausgefahrenen Spur auf dem verschneiten Fahrdamm vorwärts bewegte. Er keuchte an dem Versteck der beiden so nahe vorbei, daß sie den Fahrer in der Kabine sehen konnten.
„Schade", brummte Timm, als das Fahrzeug verschwunden war, „der wäre richtig für uns gewesen. Das war ein Brocken ..." Er hatte einen kurzen, geraden Ast aufgelesen, an dem er die Minen befestigte. Et band eine neben der anderen fest und knüpfte um das Ende des Astes ein Stück jener dünnen, festen Schnur, mit der er am Nachmittag das Fichtenreisig zusammengebunden hatte. Dann trat er mit der Ladung auf den Fahrdamm hinaus und verbarg sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite im lockeren Schnee. Als er zu Bindig zurückkam, hatte er die Schnur in der Hand. Sie zogen sich so weit in den Wald zurück, wie die Schnur reichte. Dann zog Timm die Schnur straff, machte sich ein Zeichen am Boden und sagte zu Bindig: „Sie liegt genau zwei Handbreit neben der Fahrtrinne. Wenn das nächste Fahrzeug kommt, ziehen wir die Schnur zwei Handbreit heran, und der Fall ist erledigt."
„Wenn die Ladung zündet", gab Bindig zu bedenken.
Aber Timm lachte leise: „Sie wird zünden. Ich habe in allen fünf Minen den Druckzünder scharf gemacht. Die Ladung reicht für einen Eisenbahnzug."
Es war inzwischen sehr dunkel geworden, aber der Himmel war unbewölkt, und das Sternenlicht verlieh dem Schnee einen matten Glanz. Wie immer, wenn es Nacht wurde, hörte man die fernen Geräusche deutlicher. Die Landstraße mit dem leisen Gedröhn der Automotoren schien näher gerückt zu sein. Das Gewummer einer Batterie, die ihr abendliches Störungsfeuer begann, ließ die Luft leise erzittern.
Die beiden Männer lagen still in ihrem Versteck und lauschten. Nur einmal sagte Timm: „Hoffentlich kommt wenigstens etwas, wofür es sich lohnt, fünf Minen auszugeben ..." Aber dann blieb es wieder still, und die Zeit verstrich. Bis plötzlich Motorengeräusch näher kam. Zuerst war es nur leise, und es hätte ebensogut weit drüben auf der Landstraße sein können. Aber dann wurde es lauter, und Timm richtete sich auf.
Er zischte Bindig zu: „Aufgepaßt! Es geht los I" Dann nahm er die Schnur, und Bindig
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