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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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umgelegt?"
    Bindig schüttelte den Kopf. Sie hockten sich zwischen ein paar niedrige
    Fichten, und Timm besah sich genau die Eintragungen auf der Karte.
    „Mann ...", brummte er dann, „das ist ja gleich nebenan!"
    „Willst du es dir noch mal ansehen?" erkundigte sich Bindig. „Ich führe
    dich hin ..."
    „Danke." Timm grinste. „Mir genügt der Anblick auf der Karte. Wie haben
    sie es angelegt?"
    Bindig beschrieb es ihm. Timm nickte, und dann steckte er Bindigs Karte
    ein.
    „Ist erledigt", sagte er. „Und jetzt bist du wohl mächtig stolz, was?"
    „Hunger habe ich", antwortete Bindig ausweichend, „und eine Zigarette
    täte mir auch gut."
    „Bist nicht zufrieden, was?" fragte Timm. „Konntest keinen umlegen, und
    das war nicht dein Fall. Kann ich verstehen.
    Aber wir beide machen heute noch ein paar Leichen, verlaß dich drauf!"
    Er blinzelte Bindig zu, als habe er ihm eben ein besonders interessantes
    Vergnügen versprochen. Ein Ausdruck von Grausamkeit beherrschte in
    diesem Augenblick sein Gesicht.
    „Ich habe Hunger", sagte Bindig. Er zog den Verschluß der Hosentasche
    auf und entnahm ihr ein Päckchen mit konzentrierter Verpflegung, bestehend
    aus salzigen Keksen, gepreßtem Dörrobst, Fruchtschnitten, steinharter
    Trockenwurst und Schokolade. Er aß ohne Appetit eins nach dem anderen.
    Die Fruchtschnitten schmeckten widerlich süß.
    „Wenn sie bloß nicht so viel Zucker in das Zeug tun würden", sagte er zu Timm, „die Hälfte wäre auch genug."
    „Zucker", sagte Timm, „ist gut für Leute, wie wir es sind. Er ist gut für die Nerven."
    „Sie sollten ein paar Stücke Zucker in die Packung legen. Dieses Zeug kann man kaum genießen."
    „Iß du mal Zucker", grinste Timm, „du hast ihn dir heute verdient. Und du wirst ihn noch für deine Nerven brauchen können."
    „Ich brauche aber keinen Zucker. Meine Nerven funktionieren mit Zucker ebenso wie ohne. Sie sollten ihn lieber den Zahlmöpsen geben bei der Division."
    „He ...", lachte Timm leise, „der Herr Gefreite Bindig belieben auf die Zahlmöpse wütend zu sein! Ist mir ganz neu. Warum nimmst du eigentlich nie was zu saufen mit? Zusammen mit Schnaps läßt sich dieses Zeug nämlich ganz gut essen."
    „Ich trinke kaum Schnaps", sagte Bindig.
    „Klar, wenn's dein eigener ist! Aber ich gebe dir was von meinem ab." Er zog die kleine, flache Flasche aus der Wadentasche. Eine ebensolche, wie sie auch Zado stets in der Kombination trug. Bindig setzte sie an und spülte den Geschmack der Fruchtschnitten mit dem scharfen Getränk hinunter.
    „Hast du keinen Hunger?" fragte er hustend Timm. Der schüttelte den Kopf. Er brannte sich eine Zigarette an und sagte: „Vorläufig nicht." Er klopfte nachdenklich die Asche von der Zigarette, dann sprach er weiter.
    „Ich habe mir mal angesehen, wie weit ihr alle mit Auszeichnungen seid. Man sollte das öfter tun. Es sieht gar nicht so schlecht aus. Wenn beispielsweise ein gewisser Bindig heute noch einen Nahkampf eingetragen bekommt, ist er reif für die bronzene Nahkampfspange. Was hältst du davon?"
    „Hm ...", machte Bindig unsicher. „Ich zähle das nicht so genau mit."
    „Aber ich."
    „Dann wird's wohl stimmen."
    „Es stimmt auch. Zado braucht noch drei Tage für die silberne."
    „Und du?"
    „Du wirst vor Neid erblassen", grinste Timm gemütlich, „aber mir fehlt genau noch der heutige Tag für die goldene."
    „Ach so", sagte Bindig, „deshalb willst du heute noch was unternehmen. Ohne Befehl sozusagen ..."
    „Erraten!" Timm kniff ein Auge zu und blinzelte ihn an, „du und ich. Wenn wir heimkommen, kann Alf uns zur Auszeichnung einreichen. Und deshalb werden wir jetzt von hier verschwinden und zusehen, daß wir noch ein bißchen in Schwung kommen."
    „Ohne die anderen?"
    „Die anderen suchen inzwischen weiter nach dem Lager. Sie werden müde sein, wenn sie damit aufhören. Mit müden Leuten kann man keine Leichen machen. Aber wir beide schnappen uns jetzt die Minen, und dann ist Polen offen! Klar?"
    „Meinetwegen." Bindig sagte nichts dagegen, denn dieser gemütliche, spaßige Timm, der ihm hier im Wald hinter der sowjetischen Front gegenüberlag, würde sich spätestens morgen wieder in den verwandeln, der den Lebensfaden jedes einzelnen aus der Kompanie in der Hand hielt.
    Ich hätte besser daran getan, ihm nicht zu folgen und ihn nicht anzurufen, dachte Bindig. Am besten wäre es gewesen, ich hätte mich irgendwo so lange verkrochen, bis es dunkel würde, und wäre dann zu

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