Die Stunde Der Vampire
habe dir die Geschichte erzählt, hinter der du her warst. Die einzige Geschichte, die die Leute kümmert.«
»Fritz, nein! Was hast du nach dem Krieg gemacht? Wohin bist du gegangen? Wann bist du nach Amerika gekommen? Fritz!«
»Leb wohl, Kitty.«
»Fritz!«
Die Leitung war tot.
Verdammt. Was machte ich nun damit? Müde sprach ich ins Mikro. »Dr. Flemming, wenn Sie das hier hören, dann rufen Sie doch bitte an. Ich habe ein paar Fragen an Sie.«
Erneut warf ich einen Blick auf den Monitor, wobei ich Angst vor dem hatte, was ich dort vorfinden könnte. Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich wollte, dass Flemming anrief. Die Sache würde ihn wahrscheinlich nicht zu einem jähen Anfall von Offenheit und Mitteilsamkeit inspirieren.
Doch Flemming rief nicht an. Keiner der aufgelisteten Anrufer wirkte auch nur entfernt interessant. Was auch immer ich als Nächstes sagen würde, wäre nichts als eine groÃe Antiklimax.
»Na gut. Sieht aus, als müssten wir zur nächsten Anruferin übergehen. Lisa aus Philly, hallo!«
»Hi Kitty. WeiÃt du etwas von Gerüchten, dass es eine Variante des Golfkriegssyndroms gibt, die Vampirismus hervorruft? Ich frage, weil mein Bruder, er ist ein Veteran, und â¦Â«
Manchmal hatte ich nicht die leiseste Ahnung, wie ich in solche Diskussionen geriet.
»Du bist sehr nachdenklich«, sagte Luis. Er fuhr Samstagvormittag mit mir in einem niedlichen tiefschwarzen Miata-Cabrio durch die Gegend, das er speziell zu dem Anlass gemietet hatte. Er sah fabelhaft aus, den Ellbogen auf die Fahrertür gestützt, eine Hand am Lenkrad, mit seinen schönen Latino-Gesichtszügen und der Fliegersonnenbrille.
Mein Gott, er wusste schon, wie man ein Mädchen ins Schwärmen brachte! Wie war es überhaupt möglich, dass ich mit meinen Gedanken woanders war, während er keine dreiÃig Zentimeter von mir entfernt saÃ? Ein heiÃer brasilianischer Lykanthrop, der ganz nach meiner Pfeife tanzte und wie jemand aus einem Autowerbespot aussah â und ich hatte die Stirn gerunzelt. Ich schüttelte den Kopf, denn ich hatte keine Ahnung, was ich ihm antworten sollte.
Er hatte mich zum Nationalfriedhof Arlington mitgenommen, weil ich ihn mir hatte ansehen wollen, doch es war deprimierend gewesen. Es lag nicht nur an den unzähligen Grabsteinen, den Gräbern, die gröÃtenteils Menschen gehörten, die zu jung gestorben waren, oder den tempelartigen Gräbern der Kennedys, still und wunderschön. Die flackernde ewige Flamme von JFK wirkte wie
ein Denkmal für zerschmetterten Idealismus. Die Gräber waren friedlich.
Doch die Zeremonien: die Wachablösung am Grab des Unbekannten Soldaten; ein Begräbnis mit allen militärischen Ehren, mit von Pferden gezogenem Munitionswagen und einer Ehrensalve aus einundzwanzig Gewehren. All diese Todesrituale. Sie wirkten so verzweifelt. Spendete es uns denn tatsächlich Trost, den Toten die letzte Ehre zu erweisen? Half es wirklich dabei, die Lücken zu füllen, die unsere Lieben hinterlassen hatten?
T.J. hatte kein Grab, das man besuchen konnte. Wenn er eines hätte, würde ich mich dann besser fühlen? Weniger hoffnungslos? Wenn er ein Grab hätte, wäre es in Denver, das ich nicht betreten konnte; meine Ãberlegungen waren also ohnehin rein hypothetisch.
Es tut mir leid, T. J.
Hör auf damit.
Nach dem Friedhof fuhren wir aus der Stadt zu dem State Park, in dem Luis Vollmondnächte verbrachte. Er wollte, dass ich mich dort wohlfühlte. Es war schön, aus der Stadt herauszukommen, den Smog und den Asphalt für kurze Zeit hinter uns zu lassen und stattdessen Bäume und frische Luft einzuatmen.
Wir veranstalteten sogar ein Picknick. Noch so ein Moment aus einer Autowerbung: Erdbeeren und WeiÃwein, Käsesorten, von denen ich noch nie im Leben gehört hatte, französisches Brot, kaum gegartes Roastbeef, alles auf einer Tischdecke im Schachbrettmuster, die auf einem grasbewachsenen Hang ausgebreitet lag.
Luis versuchte mich auf andere Gedanken zu bringen.
Er tat das alles, um mich von den Dingen abzulenken, die mir Sorgen bereiteten. Ich konnte wenigstens so tun, als funktioniere es.
»Danke«, sagte ich. »Das hier ist wunderbar.«
»Gut. Ich hatte gehofft, dass du heute wenigstens einmal lächeln würdest.«
»Ich wette, es tut dir mittlerweile leid, dass du mich in dem Museum aufgegabelt
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