Die Stunde der Wahrheit
Mara zum Kopfende der Bahre. Mit zitternden Fingern befestigte sie das rote Schilf an dem Helm des Kriegers. Dann zog sie den Federbusch hervor und wandte sich der schweigenden Reihe der Soldaten der Acoma zu, die den nördlichen Teil des Kreises bildeten.
»Arakasi«, sagte sie, und obwohl ihre Aufforderung kaum mehr als ein Wispern war, hatte der Supai verstanden.
Er trat vor und verneigte sich.
»Ich bete zu den Göttern, daß ich weise gewählt habe«, murmelte Mara, als sie Fackel und Federbusch in seine Hände legte.
Arakasi richtete sich auf und betrachtete sie mit dunklen, rätselhaften Augen. Dann wandte er sich wortlos ab und rief nach seinem Waffenkameraden Papewaio. Der Priester Chochocans trat wieder in den Kreis, jetzt mit einem Schilfkäfig, der einen weißgefiederten Tink-Vogel enthielt, das Symbol des Geistes der Wiedergeburt. Als die Flammen an dem trockenen Holz unter und um Papewaios Leichnam leckten, durchtrennte der Priester die Gitterstäbe. Mara beobachtete mit feuchten Augen, wie der weiße Vogel in den Himmel schoß und im Regen verschwand.
Das Feuer zischte und prasselte qualmend in der feuchten Luft. Die Gäste hielten aus Achtung noch einen Moment inne, bevor sie langsam wieder zum Gutshaus zurückschritten. Mara blieb zurück, zusammen mit ihren fünfzig Kriegern und ihrer neugewählten Ehrenwache. Sie wartete, bis das Feuer niedergebrannt sein würde und die Priester Chochocans und Turakamus die Asche Papewaios zusammentragen würden. Sie würde in einer Urne verschlossen unter der Mauer des heiligen Hains der Acoma begraben werden, zu Ehren der Tatsache, daß Papewaio im loyalen Dienst gegenüber der Familie gestorben war. Eine Zeitlang war Mara allein mit Arakasi, weit weg von den prüfenden Blicken der anderen Gäste.
»Ihr habt Nacoya nicht mitgebracht«, murmelte Arakasi. Seine Worte waren wegen des Knisterns des Scheiterhaufens kaum zu hören. »Mistress, das war sehr schlau.«
Die Wahl seiner Worte durchbrach die Lethargie, die durch die Trauer entstanden war. Mara wandte leicht ihren Kopf und betrachtete den Supai eingehend, um den Grund für den Sarkasmus zu erfahren, den sie aus seinen Worten herausgehört hatte. »Nacoya ist im Herrenhaus, sie ist krank.« Mara hielt inne; sie wartete auf eine Antwort. Als keine kam, fuhr sie fort. »Wir werden sie in einer Stunde treffen. Glaubt Ihr, Ihr könnt uns bis dahin am Leben erhalten?« Der Rest des Tages war der Besinnung und der Erinnerung an Papewaio gewidmet. Doch Mara bezog sich auf die Gäste, die, wieder weit entfernt von der Bahre, sich erneut den Mechanismen des Spiels hingeben würden. Arakasi, wenn auch durchaus fähig, war nicht gerade ihr herausragendster Schwertkämpfer.
Der Supai nahm diese Botschaft mit der Andeutung eines Lächelns auf. »Sehr weise, Mylady, allerdings.«
Sein erleichterter Tonfall war es, der Mara begreifen ließ. Er hatte befürchtet, sie würde vor den Minwanabi zu fliehen versuchen, jetzt, wo sie wieder mit ihren Kriegern zusammen war. Sicherlich hätte Nacoya zugestimmt, als Opfer zur Täuschung der wahren Absichten ihrer Herrin bis zum Ende zurückzubleiben. Mara schluckte, wieder quälte sie die Trauer. Wie bereitwillig hätte die alte Frau sich an einer solchen List beteiligt und ihre Preisgabe an ein feindliches Haus als einen Schachzug betrachtet, der das Fortbestehen der Acoma sicherte.
»Papewaio war Opfer genug«, sagte Mara. Die Schärfe in ihrer Stimme reichte, um Arakasi klarzumachen, daß Flucht das letzte ihrer Ziele war.
Der Supai nickte schwach. »Gut. Ihr hättet ohnehin keine Chance. Die Minwanabi haben das Gut mit ihren Armeen umstellt. Nach außen hin hat es den Anschein, als ginge es um den Schutz der Gäste. Doch ich habe einige Soldaten während der Trinkgelage und Würfelspiele sagen hören, daß viele andere ohne Farben außerhalb der Gutsgrenzen warten, die als Piraten oder umherziehende Banden von Gesetzlosen der Lady der Acoma eine Falle stellen wollen.«
Maras Augen wurden weit. »Und wie habt Ihr das herausgefunden? Indem Ihr Euch eine orangefarbene Tunika geborgt und unter den Feind gemischt habt?«
Arakasi gluckste leise. »Wohl kaum, Mylady. Ich habe meine Informanten.« Er betrachtete seine Herrin, studierte das blasse Gesicht, das nur von dem schwachen Schein des heißen Feuers etwas erhellt wurde. Ihre zarte Gestalt stand aufrecht, und der Blick ihrer Augen war besorgt, aber entschlossen. »Da wir also bleiben und uns dem Lord der Minwanabi
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