Die Stunde der Wahrheit
ihrem Körper, die vom Druck seiner Waffen herrührten. Wilde Freude glomm in ihren Augen, und sie löschte die Lampe, damit niemand den Augenblick des Triumphes miterleben konnte. Alles, was sie jetzt noch tun mußte, war Mara zu einem Angriff zu provozieren oder einen vorzutäuschen, sollte die Hexe auf Beleidigungen nicht reagieren. Dann zwang der Ehrenkodex der Krieger Shimizu zur Verteidigung Teanis, und er konnte zuschlagen. Was für eine Rolle spielte es schon, wenn sich Maras Tod im Großen Spiel als schändliche Handlung herausstellen würde? Wieso sollte der den Minwanabi zugefügte Schaden für eine Konkubine Bedeutung haben, deren Loyalität Tecuma von den Anasati gehörte? Buntokapis Mörderin würde Fleisch für die Jagunas werden, und dieser Triumph war für Teani wichtiger als jede andere Überlegung.
Weit jenseits des Balkongeländers ergoß sich das Mondlicht golden über den vom Wind aufgewühlten See. Doch Mara trat nicht nach vorn, um die Aussicht zu bewundern. Arakasi hatte ihr davon abgeraten, als sie die neuen Gemächer zum ersten Mal besichtigt hatte. Das Geländer des Balkons wie auch die Stützen und einige der Bodenplanken am Rand waren alt, manche bestanden gar aus uraltem Holz. Doch die Pflöcke, mit denen sie befestigt waren, wirkten neu, ihnen fehlte die matte Färbung, die Chican-Holz gewöhnlich annahm, wenn es von Wind und Wetter gegerbt war. Jemand hatte alles für einen »Unfall« vorbereitet. Ein Weg aus glasierten Steinziegeln führte drei Stockwerke unter ihrem Fenster um den Garten herum. Niemand, der von diesem Balkon fallen würde, konnte einen solchen Sturz überleben. Es würden nicht viele Fragen auftauchen, sollte ihr Körper am nächsten Morgen dort unten zerschmettert aufgefunden werden; ganz offensichtlich hatte das alte Geländer nachgegeben, als sie sich darübergelehnt hatte.
Die Nacht verdunkelte die Gänge und Gemächer im Herrenhaus der Minwanabi. Nur wenige Gäste waren noch wach.
Mara machte es sich unruhig auf den Kissen neben Nacoya bequem; sie vermißte Papewaio und sehnte sich nach Schlaf und der Sicherheit ihres eigenen Hauses.
Sie war in ein einfaches Gewand gekleidet und trug Armreifen aus emaillierten Muscheln, die von den Cho-ja angefertigt worden waren. Die Lady der Acoma stützte ihren Kopf in die Handflächen. »Die Konkubine muß jeden Augenblick erscheinen.«
Nacoya sagte nichts, doch Arakasi antwortete von seinem Posten hinter dem Eingang mit einem zweifelnden Schulterzucken. Seine Geste zeigte an, daß er Teani für absolut unberechenbar hielt; dennoch hatte sie ihnen mitgeteilt, daß sie nach dem Wachwechsel um Mitternacht kommen würde. Mara spürte Kälte in sich aufsteigen, obwohl die Nacht warm war. Sie sehnte sich Papewaio mit seiner legendären Kampferfahrung herbei. Arakasi mochte die Rüstung einer Ehrenwache tragen, doch seine Fähigkeiten im Umgang mit Waffen waren nichts, dessen er sich rühmen konnte. Dennoch hätte sie ohne das Netzwerk des Supais überhaupt keinen Plan gehabt. Mara beruhigte ihre Nerven mit Hilfe der Disziplin, die sie im Tempel erlernt hatte, und wartete. Schließlich hörte sie Schritte im Gang.
Sie schenkte Arakasi ein selbstzufriedenes Lächeln; dann verbannte sie diesen Ausdruck aus ihrem Gesicht. Die Schritte kamen näher, und zusätzlich zum erwarteten Geklimper teurer Juwelen erklang das Klirren einer Rüstung und von Waffen. Teani hatte einen Krieger zur Begleitung mitgebracht.
Nacoya blinzelte schläfrig; sie war schwerhörig genug, um die Besucher, die sich auf dem Korridor näherten, nicht wahrzunehmen. Doch sie richtete sich auf, als Mara, gewarnt durch Arakasis Verbeugung, zur Tür starrte. Man konnte sich immer darauf verlassen, daß er die richtige Haltung für die jeweilige Rolle an den Tag legte. Nacoya schätzte das Ausmaß seiner Ehrerbietung. »Die Konkubine hat eine Ehrenwache mitgebracht, wie es ihr gutes Recht ist«, murmelte sie. Es war nicht mehr möglich, Mara zu warnen, daß jede Handlung, die als aggressives Verhalten gegenüber Teani interpretiert werden würde, einen Angriff auf ein Mitglied des Haushalts der Minwanabi darstellte. Die Ehrenwache würde dann berechtigt sein, Jingus Konkubine zu verteidigen, ja sie wäre sogar dazu verpflichtet.
Obwohl Mara eine überaus hoheitsvolle Haltung eingenommen hatte und eiserne Selbstbeherrschung an den Tag legte, konnte sie eine kleine Anwandlung von Furcht nicht unterdrücken, als der Krieger, der Teani begleitete, durch die Tür
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