Die Stunde Der Woelfe
Annahme, dass ich sie tatsächlich besiegen würde, wenn ich
sie herausforderte. Darüber wollte ich lieber gar nicht erst nachdenken.
Doch Carls braune Augen sahen so verletzt aus, so verloren, und ich glaubte nicht, dass er sich derart verstellen konnte. Noch nie war er in der Lage gewesen, seine Wut oder seine Begierde zu verbergen. Er war nicht gut darin, seine Gefühle zu verheimlichen. Er war ein Mann der Brachialgewalt.
»Was hast du getan, als du es herausgefunden hast?«
»Wir haben uns unterhalten.« Das war ein Euphemismus. Hatten sie nun also die normale Art von handfester Unterhaltung gehabt oder das, was Carl und ich vor einer Minute gehabt hatten?
»Was hat sie gesagt?«
»Dass es ihr leidtut. Sie wird damit aufhören.«
»Das ist alles? Einfach so, und sie hört auf damit?« Ich wusste nicht, auf wen ich wütend sein sollte. Tat es ihr wirklich leid, oder machte Carl Ausflüchte für sie? Warum tat er ihr dafür nichts an? »Vielleicht sollte ich mich mal mit ihr unterhalten.«
»Vielleicht solltest du das tun«, sagte Carl. Langsam kam er näher, seine Lippen strichen meine Wange entlang, bewegten sich auf meinen Mund zu.
Ich wandte das Gesicht ab. Ich stopfte die Fotos in den Umschlag zurück und reichte ihn Carl. Dann verlieà ich das Zimmer, bevor er einen Anfall kriegen konnte.
Einen ermutigenden Augenblick lang dachte ich, ich würde die Eingangstür erreichen und entfliehen können, ohne von jemandem aufgehalten zu werden. Ich berührte den Türknauf.
Meg legte die Hand an die Tür, genau vor meinem Gesicht.
Ich musste nicht nachsehen. Ihr wütender Blick war zu spüren, ebenso die Hitze, die ihr Körper verströmte. Ihr Atem kitzelte mich an der Wange. Sie wusste, dass ich es wusste. Zwischen uns würde es nie wieder wie früher sein.
Wenn ich nicht reagierte, würde sie dort für immer stehen. Sie wollte, dass ich reagierte. Sie wollte mir Angst einjagen. Wo war T.J.? Ich wagte nicht, mich umzudrehen und nachzusehen, ob er noch im Wohnzimmer war.
Den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, dass T.J. vielleicht auch von all dem wusste, auch wenn mir nicht klar war, auf welcher Seite er stünde. Für mich kämpfen würde er jedenfalls nicht. Auf einmal schien sich die ganze Welt gegen mich verschworen zu haben.
Meg sprach, mit leiser Stimme. »Sollte er je zwischen mir und dir wählen müssen, dann glaube nicht einmal im Traum daran, dass er dich nehmen würde.« Sie meinte Carl. Von mir aus konnte sie ihn haben.
»Er wird nicht für dich kämpfen«, fuhr sie fort. Sie zog eine Grimasse, eine Miene des Abscheus. »Er hat kein Rückgrat.«
Sie mochte recht haben. Er war immer noch im Schlafzimmer, und ich war mir nicht sicher, ob er mir zu Hilfe eilen würde, sollte ich zu schreien anfangen.
Flüsternd gab ich zurück: »Ich will dich nicht bekämpfen, Meg. Ich will nichts.«
»Nichts? Ãberhaupt nichts?«
Das stimmte nicht. Ich biss die Zähne zusammen und
machte mich darauf gefasst, von ihr geschlagen zu werden. »Ich will die Sendung weitermachen.«
Ihre Hand bewegte sich. Aufkeuchend zuckte ich zusammen. Doch sie berührte mich nur am Kinn, strich dann mit dem Finger meinen Kiefer entlang, bevor sie die Hand zur Faust ballte und wegzog.
Sie machte mir die Tür auf und lieà mich gehen.
T.J. wartete bei seinem Motorrad und fummelte an einem geheimnisvollen Maschinenteil herum.
»Können wir jetzt los?«, fragte ich, die Arme um mich geschlungen.
»Alles klar bei dir? Du zitterst ja.« Er wischte sich die Hände an der Jeans ab und stieg auf das Motorrad. Ich kroch hinter ihn.
»Hast du gewusst, dass Carl und Meg Streit haben?«
»Die beiden streiten doch dauernd.«
Nicht so. Die Worte blieben mir im Hals stecken. Ich schloss die Augen und umklammerte ihn fest.
Ich sah mir nie die Lokalnachrichten an. Folglich fiel es mir nicht schwer, sie an diesem Abend zu verpassen und nicht nachzusehen, ob Angela Bryant mich von meiner Schokoladenseite gefilmt hatte oder nicht.
Doch genau um 18:15 Uhr rief Ozzie an.
»Kitty! Hast du gewusst, dass du in den Nachrichten bist?«
Morbiderweise hatte ich gehofft, es gäbe einen Flugzeugabsturz oder so etwas, das den Mord an einer Prostituierten völlig aus den Nachrichten verdrängen würde.
»Ich hab mir schon so was gedacht«, sagte ich müde.
»Um
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