Die Stunde der Zaem
frisch blieb wie eine Rose im Tau des Morgens und er selbst alterte und gebrechlich wurde, fiel schwer. Es bedeutete ein stetes Nebeneinander von Angst und Kampf, Hoffnung und Verzweiflung, wobei letzten Endes die Verzweiflung siegen und ihn in ein Chaos stürzen würde, das nur der Tod noch beenden konnte.
»Es ist unmöglich«, murmelte Mythor.
»Was?« fragte Rii.
Der Sohn des Kometen brauchte lange, um dieses eine Wort zu verstehen. Erst als er ihre Wange auf seiner Hand spürte, sie zärtlich nach seinen Armen griff, fand er in die Realität des Augenblicks zurück.
»Eine Frau zu lieben, die ewig jung bleibt, während man selbst am Alter zerbricht«, sagte er.
»Ich verstehe dich nicht«, meinte Rii.
Schwerfällig winkte Mythor ab.
»Vielleicht ist es besser so. Vergiß, wovon ich sprach.«
Sie hatte ihm gesagt, daß Fronjas Träume von den Empfängerinnen gedeutet wurden, andere wieder zogen mit Hilfe der Magie ihre Schlüsse daraus, und die Zaubermütter schließlich stimmten auf die Trauminhalte ihre Politik ab. In ihren Träumen konnte die Tochter des Kometen zukünftige Ereignisse voraussehen, wenngleich diese nicht immer klar zu erkennen waren. In mancher Hinsicht glichen sie also einem Orakel, und es bedurfte besonderer Auslegungen, um die kommende Wirklichkeit in all ihren Möglichkeiten zu erfassen.
Mythor empfand Mitleid mit Fronja. Was hatte sie von ihrem Dasein, wenn es lediglich aus Schlaf und Träumen bestand? Konnte sie überhaupt wissen, was das Leben schön machte? Sicher hatte sie nie die Liebe eines Mannes gespürt, nie die Wogen der Leidenschaft bis hin zur Erfüllung ausgekostet.
Wenn es in seiner Macht stand, würde er sie von diesem Schicksal erlösen. Aber keinesfalls durch den Tod. Er würde ihr das Leben schenken, wie es wirklich war, mit all den Höhen und Tiefen, mit Freude und Leid.
»Du wirkst nachdenklich«, ließ Rii vernehmen. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
Sanft strich Mythor über ihr Haar.
»Du nicht«, entgegnete er. »Ich bin dir sogar dankbar für alles.«
Insgeheim fragte er sich, was geschehen mochte, wenn Fronja aufwachte. Konnte es sein, daß sie dann schneller alterte, womöglich gar innerhalb weniger Jahre zur Greisin wurde?
Entsetzen bemächtigte sich seiner. Die Tochter des Kometen träumte nicht mehr - er selbst hatte es zu spüren bekommen, und auch von Ambe war ihm dies bestätigt worden. Bedeutete das nicht, daß Fronja geweckt worden war?
»Führe mich zu ihrem Schrein«, forderte er Rii hastig auf. »Ich muß sie sehen.«
»Fronja ist nicht dort«, erwiderte die Maid. »Sie hat den Stein verlassen.«
Mythor war verwirrt.
»Sagtest du Stein?« wollte er wissen.
Unbewußt verspürte er Ängste in sich aufsteigen, gegen die er sich mit aller Kraft zur Wehr setzte. Solche Befürchtungen konnten nicht den Tatsachen entsprechen. Andererseits…
Rii nickte flüchtig.
»Unsere Urmutter Vanga«, sagte sie. »Dort ist es, wo Fronja schlief.«
Irgendwie redeten sie aneinander vorbei. Mythor, der nun nicht länger warten wollte, verlangte von Rii, ihm endlich den Weg zu weisen.
»Du wirst Fronja nicht mehr vorfinden.« Sie sträubte sich.
»Wo ist die Erste Frau Vangas, wenn nicht dort?«
»Ich weiß es nicht«, beteuerte Rii. »Ich weiß es wirklich nicht.«
»Du mußt mir helfen, herauszufinden, wohin man sie gebracht hat, willst du nicht, daß Schlimmes mit deiner Welt geschieht.«
Rii zögerte noch immer, doch war es nicht schwer, ihren Widerstand zu brechen.
»Fronja ist deine Herrin!« stellte Mythor fest.
»Ja.«
»Dann mußt du ihrem Willen gehorchen.«
Sie nickte.
»Und bin ich nicht als Sohn des Kometen dazu auserwählt, an ihrer Seite die Geschicke der Welt zu lenken?«
Riis Augen wurden größer. Sie waren von einem makellosen Blau wie ein kristallklarer Bergsee.
»Also bist du verpflichtet, auch mir zu dienen«, folgerte Mythor.
»Ich führe dich zu Fronjas Schrein«, erklärte die Maid überraschend. »Komm.«
*
Das Brüllen wiederholte sich.
Lankohr fühlte ein Paar brennender Augen auf seinen Nacken gerichtet. Auch ohne sich umzuwenden, wußte er, daß die geringste Bewegung sein Leben kosten würde.
Seine Gedanken überschlugen sich, während er förmlich zur Salzsäule erstarrte.
Heeva wünschte ihm den Tod, dessen war er sicher. Aber sie wollte ihn auch quälen. Sie war nicht einen Deut besser als Stee.
Sollte er kämpfen, die Dolche ziehen und versuchen, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen? Er
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