Die Stunde der Zaem
wand sich um ihn, er konnte sie fühlen, glaubte ihren dreieckigen Schädel mit der gespaltenen Zunge zu sehen - sie entsprang seinen Gedanken, nährte sich von seiner Angst. Beinahe schmerzhaft stieg die Erinnerung in ihm empor - die Erinnerung an frühe Jahre seiner Kindheit, als der Wald noch bis an die Hütte seiner Eltern reichte. Damals hatte viel Gewürm sich unter den dicken Holzbohlen verborgen.
Aber da waren auch andere Gestalten, Schatten aus seiner Vergangenheit, die ihn bedrängten - Riesen, die Bäume wie dünne Hölzer knickten; schwerfällige Echsen mit doppelten Schädeln und gepanzerten Leibern; feuerspeiende Drachen, deren Zahl die Sonne verdunkelte…
Lankohr schlug sich die Hände vor die Augen, um das alles nicht mitansehen zu müssen. Doch die Bilder ließen sich nicht verdrängen.
Der Aase stürzte zwischen das Schilf des Ufers, wo er wimmernd liegenblieb. Selbst die Feuchtigkeit des Bodens konnte ihn nicht wieder auf die Beine bringen.
Es begann zu regnen. Aus wenigen dicken Tropfen, die, weite Kreise ziehend, die ruhige Oberfläche des Sees in Bewegung versetzten, wurde schnell ein wahrer Wolkenbruch, der die Sicht bis auf wenige Schritte beschränkte. Mühsam stemmte Lankohr sich hoch; er versank bis an die Ellbogen im aufgeweichten Schlick. Plötzlich schreckte er zusammen. Da war ein Geräusch, das selbst das laute Plätschern des Regens übertönte - ein gleichmäßiges Schaben, das ihm Schauder den Rücken hinab jagte. Er erstarrte.
Unmittelbar vor ihm pendelte der mächtige Schädel einer Schlange hin und her, wobei eben jenes Geräusch entstand. Zwei glühende Augen, jedes so groß wie seine geballte Faust, schienen ihn bannen zu wollen.
Lankohr besaß nicht einmal mehr die Kraft zu schreien. Das Monstrum glitt auf ihn zu, wälzte sich über seine Beine und wand sich um seinen Körper. Die gespaltene Zunge verharrte vor seinem Gesicht.
Er konnte sich nicht bewegen, selbst wenn er es gewollt hätte. Nur wenige Fingerbreit trennten seine Rechte vom Dolch, aber er wagte kaum zu atmen.
Die Sinne drohten ihm zu schwinden… Sein letzter Gedanke war der an Heeva. Warum? fragte er sich.
Die Umschlingung preßte ihm die Luft aus den Lungen. Schon begann er Dinge zu sehen, die er wohl dem Übergang vom Leben zum Tod zurechnen mußte. Zwei Arme wuchsen aus dem Schlangenleib, tasteten rauh nach seinem Gesicht, strichen über sein Haar. Und die großen brennenden Augen gehörten plötzlich zu einem wunderbaren Antlitz, das schöner war und verlockender als das jeder anderen Frau.
»Liebe mich!« flüsterte ein Paar voller, sanft geschwungener Lippen.
Lankohr bäumte sich auf.
Nein! schrie alles in ihm. Niemals!
Er wollte sie nicht sehen, wollte nicht in dem Bewußtsein sterben, daß sie ihren Triumph auskostete.
»Fort mit dir!« kreischte er.
Heevas Lippen berührten die seinen. Und schlagartig war alles anders.
Lankohr fand sich im Gelb des Regenbogendoms wieder. In seinem Schädel summte es wie von einem Schwarm aufgescheuchter Hornissen. Überrascht stellte er fest, daß seine Kleidung trocken war - auch fehlten jegliche Spuren von Schmutz.
Auf rauhen Steinplatten liegend, richtete er sich auf. Zwei hilfreiche Hände stützten ihn.
Er wollte aufspringen und Heeva von sich stoßen, aber sie deutete schweigend zur Seite, wo einige Schritte entfernt der reglose Körper einer zweiten Aasin lag.
»Stee!« stieß er überrascht hervor.
»Sie wollte dir ans Leder«, sagte Heeva. »Du kannst von Glück reden, daß ich ein wachsames Auge auf dich hatte.«
Lankohr begriff selbst nicht, weshalb er so ruhig und gelassen blieb. Dabei hatte er sich geschworen, diesem Mädchen zu zeigen, was er von ihr hielt. Aber sie bezauberte ihn - ihre Nähe vertrieb allen Hader. Anstatt sie zu den Dämonen zu jagen, lauschte er dem Klang ihrer Stimme.
»Stee stellte dir eine Falle«, ließ Heeva ihn wissen. »Sie wollte dich leiden sehen und förderte deshalb alle Ängste aus den Tiefen deines Seins in dein bewußtes Denken empor. Auf diese Weise magst du die phantastischsten Länder gesehen haben, ohne einen einzigen Schritt zu tun.«
»Das soll ich dir glauben?« Verbissen schüttelte Lankohr den Kopf.
»Ich habe keinen Grund, dich anzulügen.« Heeva legte ihm eine Hand auf die Schulter, doch er schob sie von sich.
»Du bist nicht besser als Stee, denn du hast mich ebenfalls verraten.«
»Wann?«
»Tu nicht so, als wärst du ahnungslos.«
»Ich weiß es wirklich nicht.« Tränen
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