Die Stunde der Zaem
soll? Ist Fronja meine Schwester?«
»Du kannst unbesorgt sein.«
Mythor schien verwirrt. Fahrig fuhr er sich mit der Linken durchs Haar, dann schüttelte er den Kopf.
»Ist das alles, was du mir zu sagen hast, Zahda?«
Sie hob den Blick, und eine Wand des Raumes, in dem sie sich befanden, verschwand und gab die Sicht frei auf den Schrein, der näher war, als Mythor vermutet hatte. Ein leichtes Unbehagen bemächtigte sich seiner, aber es war keineswegs so stark, daß er es nicht hätte verdrängen können. Seine Vermutung, daß die Weiße Magie, die überall im Regenbogendom und innerhalb der Lichtinsel deutlich zu spüren war, den Einfluß des Meteors abschwächte, wurde von der Zaubermutter bestätigt.
»Ich habe andere Neuigkeiten für dich«, eröffnete sie unvermittelt. »Ich bin nun bereit, dich zu Fronja zu führen und dich sogar mit ihr zusammenzubringen.«
Seine Überraschung war offensichtlich. Zahda machte eine Pause, wie um ihm die ganze Tragweite ihrer Worte ins Bewußtsein zu rufen. Nachdenklich kaute Mythor auf seiner Unterlippe.
»Wieso erst jetzt?« wollte er schließlich wissen. »Weshalb nicht schon vor Tagen? Was ist geschehen, das deine Meinung so grundlegend geändert hat?«
»Der Hexenrat hat seine Entscheidung gefällt«, erwiderte Zahda. »Ich wurde dazu ausersehen, dir die Nachricht zu überbringen, weil ich es war, die dich vor einem Jahr aus der See der Dämmerzone zog und dir damit das Leben neu schenkte. Allerdings will ich dir nicht verhehlen, daß es deinen Tod bedeuten kann, wenn du wirklich zu Fronja gehst.«
Mythors Züge verhärteten sich schlagartig.
»Mein Entschluß steht fest«, entgegnete er beinahe trotzig. »Wovor sollte ich zurückschrecken? Bin ich gekommen, nur um unverrichteter Dinge wieder abzuziehen?«
»Aus dir spricht das Ungestüm der Jugend«, gab Zahda zu bedenken. »Es ist nicht immer gut, Entscheidungen zu treffen, ohne alle möglichen Folgen zu bedenken. Was du brauchst, ist Zeit, um mit dir selbst ins reine zu kommen.«
»Habe ich die?«
Mythors Einwurf klang resigniert. Aber die Zaubermutter wischte seine Bedenken mit einer flüchtigen Handbewegung beiseite.
»Ich lasse dich nun allein«, sagte sie. »Damit du noch einmal über alles nachdenken und dich vorbereiten kannst.«
Was ihn erwartete, verriet sie nicht.
*
Der Sohn des Kometen fand keine Ruhe. In dem engen Raum, in dem Zahda ihn zurückgelassen hatte, wanderte er ungeduldig auf und ab.
Für vieles blieb ihm eine Erklärung versagt, und doch, das ahnte er, lag die Antwort auf der Hand. Es mußte eine Lösung geben, die so einfach und naheliegend war, daß er sie gerade deshalb nicht fand. Aber so sehr er sein Gehirn auch zermarterte, sämtliche Gedanken drehten sich nur im Kreis.
Hin und wieder verharrte er mitten im Schritt, dann ließ er seinen Blick schweifen. Allerdings blieb ihm verborgen, was jenseits der Wände lag. Fest wie Stein boten sie sich ihm dar, weder Tür noch Fenster gab es.
Den Gedanken, erneut auf eigene Faust die Lichtinsel zu erkunden, mußte Mythor aufgeben. Zahda hatte es verstanden, ihn in den Wänden aus Licht zurückzuhalten.
»Fronja«, murmelte er leise vor sich hin. »Was geht hier vor? Man könnte meinen, du seiest eine Aussätzige.«
Nichts und niemand antwortete ihm.
Sollte er sich seinen Weg freikämpfen, mit Alton versuchen, eine Bresche zu schlagen, durch die er fliehen konnte? Doch sicherlich hätte ein gewaltsames Vorgehen ihn keinen Schritt weitergebracht und höchstens die Zaubermütter gegen ihn aufgewiegelt.
Wo er gerade stand, ließ Mythor sich niedersinken, überkreuzte die Beine, stützte die Ellbogen auf den Knien ab und barg seine Stirn in den Handflächen. In unzähligen Bildern zogen die Stationen seines Aufenthalts in Vanga noch einmal an ihm vorüber:
Tau-Tau, jene vulkanische Insel innerhalb der Schattenzone, deren Bewohner in ihm einen wiedergeborenen Helden sahen…
Die blutigen Zähne - seine Begegnung mit Vina, der Hexe, von der er inzwischen wußte, daß sie ausgesandt worden war, ihm beizustehen… Dann Burra; Ambe, jene Hexe, die den Frieden so sehr liebte, und die nun auf dem Hexenstern weilte, um die Weihen einer Zaubermutter zu erhalten; Die Schwarze Mutter, Zaems größte Gegnerin, die in Ptaath ihr Ende fand; schließlich die Schwimmende Stadt Hanquon, Zirri, die dort erschien und Lankohr mit sich nahm…
Irgendwo in diesen Geschehnissen lag der Schlüssel zum besseren Verständnis verborgen. Nur kam Mythor nicht
Weitere Kostenlose Bücher