Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1
schneidenden Spott in meine Stimme. »Was kümmert’s dich überhaupt?«
»Ich will nur, dass du … Ach, vergiss es«, erwiderte er und wandte sich ab.
Ich packte ihn an den Schultern und riss ihn herum, um ihn besser anbrüllen zu können. »Nein, das tu ich nicht, Michael Weaver. Du kannst mich nicht runterputzen und dich dann aus dem Staub machen, ohne mir zu sagen, wieso du so sauer bist.«
»Du kannst tun und lassen, was du willst.« Seine Stimme war kalt und distanziert. »Es steht mir nicht zu, dein Verhalten zu beurteilen.«
Doch genau das wollte ich. Und dass er es laut aussprach. Am liebsten hätte ich ihn geschubst, aber stattdessen beschloss ich, ihn auf die Palme zu bringen. »Kaleb hat wirklich versucht, mich zu küssen«, sagte ich herausfordernd.
Michael zuckte zusammen, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. »Ich hatte den Eindruck, als wär’s ihm gelungen.«
Bingo.
»Er hat aufgegeben.« Ich baute mich ganz dicht vor ihm auf. »Willst du wissen, warum?«
Michael hielt sich die Hände vors Gesicht, und der Ring an seinem Daumen blitzte im Sonnenlicht. »Keine Ahnung. Sollte ich es wissen?«
Die nächsten Worte sprach ich sehr deutlich, um ihnen mehr Gewicht zu geben. »Kaleb hat deinetwegen aufgehört.«
»Was?«, fragte er ungläubig und senkte die Hände.
»Dein bester Freund ist ein Empath. Und er hat mich deinetwegen nicht geküsst.« Die Worte waren mir unwillkürlich rausgerutscht. Warum konnte ich nicht einfach den Mund halten? Gefrustet setzte ich mich auf die oberste Verandastufe.
»Ähm … Ich dachte … das mit Kaleb … Na ja, ich hab mich gefragt, ob du unsere Gefühle … die körperlichen Reaktionen … mit tatsächlichen Gefühlen verwechselt hast.«
»Vielleicht habe ich das.«
»Zwischen uns kann nichts sein, Em.« Zumindest schien er es zu bedauern.
»Das weiß ich.« Ich starrte auf die abblätternde Farbe der Treppenstufen. »Ich sollte zu Kaleb gehen und ihn auf sein Angebot ansprechen, mich abzulenken.«
»Lass es.«
»Warum? Trotz ›Fraternisierungsverbot‹ habe ich mich dir doch praktisch an den Hals geworfen. Mal denke ich, du willst mich zurück, und dann bin ich mir wieder nicht sicher. Ich erkenne mich kaum im Spiegel wieder, weil ich mich sonst nie so aufführe, und dann sehe ich Ava und …«
Hinter mir öffnete sich plötzlich die Fliegentür mit quietschenden Angeln. Dankbar für die Unterbrechung, die meinen demütigenden Offenbarungen ein Ende setzte, stand ich ruckartig auf und stieß mit dem Kopf gegen einen harten Gegenstand, woraufhin mir etwas Kaltes, Schleimiges über den Rücken lief.
Als ich mich umdrehte, sah ich Dune mit einer Kühlbox, die zur Hälfte mit Schlamm und Langustenköpfen gefüllt war.
Die andere Hälfte war auf mir gelandet.
38. KAPITEL
E ine schreckliche Sekunde lang rührte sich keiner. Überdeutlich nahm ich alles um mich herum wahr. Die Bestürzung in Michaels Gesicht, das schlammige Wasser, das von meinem Top tropfte, die Langustenköpfe in meinem Haar.
Michael löste sich als Erster aus der Starre. »Dune, geh rein und hol eine Rolle Küchenpapier. Kaleb soll Eis bringen, sie hat sich ziemlich doll den Kopf angeschlagen.«
»Emerson, es tut mir so leid.« Dune stellte die Kühlbox ab und streckte die Hand nach mir aus, aber als Michael auf die Tür deutete, verzog er sich in Richtung Küche.
»Ist alles in Ordnung?« Michael musterte mich besorgt und legte mir vorsichtig die Hände auf die Schultern. Ich wusste nicht, ob er den Schleim oder die Berührung meiner Haut meiden wollte. »Deine Pupillen sind geweitet. Hast du Kopfschmerzen? Sag mir deinen Namen.«
»Natürlich tut mir der Kopf weh«, zischte ich. »Frag mich noch einmal, wie ich heiße, und du singst im Knabenchor.«
Er wirkte sichtlich erleichtert und trat einen Schritt zurück. »Wenigstens bist du okay.«
Ich war alles andere als okay.
Genervt strich ich mir ein paar schlammige Haarsträhnen aus der Stirn. »Habt ihr hier irgendwo einen Gartenschlauch? Ich kann so nicht nach Hause fahren.«
»Das fehlte noch, dass du dir mit einem Schlauch behilfst«, sagte er kopfschüttelnd. »Du kannst nach oben gehen und duschen. Ich wasche in der Zwischenzeit deine Sachen.«
»Und ich soll nackt herumsitzen und warten, bis sie trocken sind?«, fragte ich und wurde rot.
Glücklicherweise tauchte Dune in diesem Moment mit der Küchenpapierrolle auf. Er riss ein paar Streifen ab und fing an, meine Kleider und Haare abzutupfen, während
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