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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Er wäre genau der Hund, den meine Kinder sich immer gewünscht haben und den sie nicht bekommen konnten, weil es in ihrem Leben nie genügend Zeit für ein Tier gegeben hatte. Schade, dachte sie, das hatte sie schon immer gedacht. Es könnte so viel Leben sein, wenn es nicht diese verdammte Notwendigkeit zum Geldverdienen gäbe.
    Plötzlich wünschte sie heftig, dass ihre Kinder irgendwann die Möglichkeit fänden, einen Hund zu halten. Und sie selbst? Hatte sie jemals einen gewollt? Natürlich: einen Hund, eine Katze, ein Pferd. Lange her. Und jetzt?
    Wieder legte der Hund wedelnd den Stock vor ihre Füße. Blitzschnell griff Laura danach, war schneller als er, und er jaulte vor Aufregung schrill auf. Ein paarmal täuschte sie ihn, schleuderte dann den Stock weit in den Garten hinaus. Und heute? Was wünschte sie sich heute? Angelos Berührungen, sein Lachen. Den Anblick der Insel Montecristo, über den Wassern schwebend, ein Bad im Meer. Vielleicht tanzen. Sie hatte viel zu lange nicht mehr getanzt.
    «Waren die auch bei Ihnen?» Wanner hatte sein Telefongespräch beendet.
    «Klar. Die waren überall.»
    «Eine Zumutung!»
    «Die machen nur ihre Arbeit. Schließlich ist einer der Wärter verschwunden.»
    «Und was hat das mit uns zu tun? Nichts, absolut nichts! Wahrscheinlich handeln die Wärter heimlich mit Haschisch oder so was, oder sie verhökern das Silber der Villenbesitzer und tarnen es als Einbruch.»
    «Wahrscheinlich.»
    Wanner starrte Laura kurz an, senkte dann den Blick und stieß mit seinem Fuß den Stock an, den der Hund zurückgebracht hatte.
    «Wir werden unseren Aufenthalt verkürzen und ein paar Tage nach Florenz fahren.»
    «Dann ist Herr Ruben ja ganz allein.»
    «Er reist wahrscheinlich auch ab.»
    «Dann sind wir allein.»
    «Fahren Sie doch auch, dann haben die Carabinieri freie Hand und können alle Häuser durchsuchen.»
    «Aber dann ist der alte Signor Ferruccio allein. Das wäre in dieser Situation nicht fair.»
    «Der ist nicht allein. Der hat doch seinen Schwarzen.»
    «Ach, hat er das?»
    «Er hat! Es ist wieder Mode, schwarze Diener zu haben. Wer sie sich nicht leisten kann, stellt welche aus Keramik auf!» Wanner lachte auf unangenehme Weise.
    Wie traurig, dachte Laura. Wie traurig, dass er so was Blödes sagen muss.
    «Sie sollten sich auch einen zulegen!», antwortete sie in schärferem Ton als beabsichtigt. «Er würde gut zu Ihrem weißen Hund und dem roten Design passen.»
    «Oh, eine Liberale!», grinste er. Es klang seltsam, weil er plötzlich sehr Schweizerisch sprach.
    «Nein, keine Liberale! Ich wünsche gute Reise.» Laura hatte keine Lust, weiter mit ihm zu reden. Es würde doch nichts dabei herauskommen.
    «Wollen Sie nicht doch einen Kaffee?»
    «Nein, danke.» Laura strich über das Fell des Hundes und ging.
    «Warten Sie doch! Hab ich was Falsches gesagt?»
    Laura ließ ihn stehen und schlug den Weg zum Strand ein. Sie zog die Schuhe aus, trödelte barfuß am Wasser herum und dachte über Ferruccio nach. Sie hatte nicht viel von ihm gelesen, mehr über ihn. An ein Interview im Radio erinnerte sie sich. Er hatte über die Bedeutung von Wörtern gesprochen und gesagt, dass in unserer Zeit achtlos mit der Sprache umgegangen würde, dass sie genauso zum Konsumgut würde, wie alles andere auch. Der Begriff Freiheit zum Beispiel würde total pervertiert. Niemand wüsste mehr, was Freiheit sei. Wenn man Worte zerstört oder für Falsches benutzt, dann veränderte sich die Gesellschaft, das ganze Leben. So ungefähr hatte er es ausgedrückt. Die Menschen sollten einmal bewusst darauf achten, wo überall der Begriff Freiheit missbraucht würde.
    Natürlich hatte er das auf die italienische Politik bezogen, aber es traf auf alle Bereiche des Lebens zu. Alberto Ferruccio gefiel Laura, er erinnerte sie ein bisschen an ihren Vater Emilio. Sie musste lächeln, als sie an ihre Sammlung interessanter alter Männer dachte. Guerrinis Vater gehörte auch dazu.
    Trotzdem oder gerade weil Ferruccio ihre Zuneigung sehr schnell gewonnen hatte, traute sie ihm nicht. Es wäre sehr ungewöhnlich, wenn er irgendeinen Straßenhändler bei sich aufnehmen würde. Irgendeinen, den er am Strand aufgelesen hatte oder bei einem Spaziergang in Portotrusco. Einen, der vielleicht einer Schlepperbande angehörte, mit Drogen handelte und eine Gefahr für einen alleinstehenden alten Mann bedeutete, der durchaus vermögend zu sein schien. Das Leben als Illegaler machte Menschen nicht unbedingt zu

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