Die Stunde der Zikaden
ein Theaterstück. Trüffelschwein. Er versuchte ganz ruhig zu bleiben. Diese Taktik kannte er zu gut. Domenica beherrschte sie mindestens so perfekt wie ihr Bruder. Die Fähigkeit, andere zu demütigen, schien den Colaltos angeboren zu sein. Er würde sich nur lächerlich machen, wenn er ihr die Geschichte vom Urlaub auftischte. Was also? Die Wahrheit vielleicht?
«Ich will herausfinden, warum ich mich damals häufig so beschissen gefühlt habe.»
Sie runzelte die Stirn.
«Was ist denn das für eine Geschichte?»
«Eine traurige!»
«Mir kommen gleich die Tränen! Was hat diese traurige Geschichte mit Tibero zu tun? Wieso gibst du dich mitsamt deiner Meeresbiologin als Privatdetektiv des Resorts aus? Was hast du mit dem Wärter Orecchio zu tun, eh?»
«Wieso wird dieses Haus durchsucht und verwüstet, wieso steht ein unbeleuchteter Pflug auf eurer Zufahrt, der noch nicht da war, als wir hinauffuhren, wieso wird mein Wagen mit roter Farbe übergossen und wieso stehst du mit einer Knarre in der Hand in meiner Küche, eh?»
Domenica machte einen Schritt nach vorn, und Guerrini hoffte inbrünstig, dass ihre Inszenierung wirklich nur Theater war, Drohgebärdentheater, dass die Waffe nicht geladen oder wenigstens nicht entsichert war.
«Ich stelle hier die Fragen», zischte sie. «Wie kannst du es wagen, mir gegenüber so einen Ton anzuschlagen! Los jetzt! Was machst du hier?»
«Nichts, Domenica! Mich interessieren eure dreckigen Geschäfte nicht, die du offensichtlich mit der Waffe in der Hand verteidigst. Oder ist es etwa die Familienehre?» Das war ihm herausgerutscht, und er bereute es sofort, denn ihre Augen veränderten sich auf erschreckende Weise, wurden völlig kalt und ausdruckslos. Guerrini hatte schon einige Male in solche Augen gesehen. Meistens hatten die Besitzer dieser Augen kurz danach geschossen.
Als Domenica wieder sprach, war ihre Stimme leise und überdeutlich.
«Ich habe eine Information bekommen, und die besagt, dass ein verdeckter Ermittler auf uns angesetzt wurde. Enrico und ich nehmen an, dass du dieser verdeckte Ermittler bist. Der unverschämte miese kleine Sohn eines lächerlichen Keramikhändlers, der sich einbildet, der Freund unseres Vaters gewesen zu sein. Also los, Guerrini, ich will es von dir persönlich hören. Ich will, dass du sagst: Ich bin ein verdeckter Ermittler, ich bin ein dreckiger Verräter! Los, sag es!» Die Hand mit der Pistole unterstrich durch ein kurzes Zucken, dass Domenica es sehr ernst meinte.
Ein kalter Tropfen rann über Guerrinis Nacken und fand seinen Weg in den Ausschnitt seines Pullovers und seinen Rücken hinab. Er flehte innerlich darum, dass Laura jetzt nicht zurückkommen möge, flehte, dass der alte Dichter sie in stundenlange Gespräche über Literatur verwickelte und sagte endlich langsam: «Ein Commissario kann kein verdeckter Ermittler sein, Domenica. Sein Rang in der Hierarchie ist zu hoch, als dass er so mühselige Arbeiten verrichten müsste. Es wird ein anderer sein, Domenica. Tut mir leid.»
Nur für einen winzigen Moment erschien sie unsicher, dann presste sie die Lippen zusammen und atmete tief ein.
«Ich glaube dir nicht, Guerrini. Aber ich kann dir eines sagen. Wenn diese Aktivitäten nicht sofort eingestellt werden, dann lasse ich deinen Vater hochgehen.»
Guerrini schaute nicht mehr auf Domenica, sondern auf seine Hände, die flach auf dem weißen runden Tisch lagen, spreizte die Finger und zog sie wieder zusammen. Deshalb hat mein Vater also angerufen. Sie haben auch ihn bedroht. Ein zweiter kalter Tropfen lief über seine Schläfe und an seiner Wange entlang, tropfte auf seinen Oberschenkel und formte einen winzigen dunklen Fleck auf seiner Jeans.
«Ich habe nichts mit diesen Aktivitäten zu tun, Domenica. Auch wenn du es nicht glaubst. Ich weiß nicht einmal, wer dieser verdeckte Ermittler sein könnte.»
«Du kannst so ernsthaft und vertrauenerweckend schauen, dass es mir den Magen umdreht! Das konntest du immer schon. Bist du deshalb zur Polizei gegangen? Weil du so ehrenhaft und gut bist?»
Sie hasst mich mindestens so, wie ich ihren Bruder hasse, dachte Guerrini und fragte sich, warum.
«Wie willst du ihn hochgehen lassen? Mit einer Bombe?» Seine Antwort kam ihm flau und billig vor, aber es fiel ihm nichts anderes ein.
«Du wirst es herausfinden. Aber ich warne dich, Guerrini, wenn ich ihn hochgehen lasse, wird es auch dich vernichten. Ich bin nicht mein Bruder, der zu nichts anderem als lächerlichen Aktionen
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