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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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fähig ist. Es liegt an dir, Guerrini. Ich gebe dir vierundzwanzig Stunden.»
    «Was stellst du dir vor, Domenica? Ich weiß nichts von verdeckten Ermittlern.»
    «Ich sage dir genau, was du jetzt tust, Guerrini. Du sorgst dafür, dass Orecchio zurückgibt, was ihm nicht gehört. Dann reist du ab und kommst nie mehr wieder.»
    «Noch mehr Rätsel?»
    «Mach dich nicht über mich lustig, es könnte dir leidtun.» Domenica bewegte sich rückwärts zur Terrassentür und schlüpfte hinaus. Er hörte ihre Absätze auf den Steinplatten und wenig später den Motor ihres Wagens. Er stellte sich vor, dass der vierschrötige Butler mit den großen Händen in weißen Handschuhen am Steuer saß.
     
    Fünf Minuten später betrachtete Guerrini noch immer seine Hände, die flach auf der kühlen weißen Platte des Küchentischs lagen. Er fühlte sich wie eingefroren, dachte immer wieder im Kreis – an den Helden des italienischen Widerstands, den großen Partisanen Fernando Guerrini, daran, dass er immer die Kommunisten gewählt hatte, und seit es sie nicht mehr gab, überhaupt nicht mehr. Und doch hatte er Geschäfte mit windigen Adeligen gemacht, deren Verachtung auch er gespürt haben musste. Hatte sich auf eine Sache eingelassen, die mehr als dubios war. Welcher Weg führte da heraus? Guerrini wusste keinen. Sein Vater kannte keine einflussreiche Persönlichkeit, die Domenica so erschrecken könnte, dass sie ihre Drohung nicht ausführte. Er selbst auch nicht. Und er fragte sich, wer die schützende Hand über Enrico und Domenica hielt. Sie hatte nichts von dem versenkten Pflug gesagt. Mit solchen Lächerlichkeiten gab sie sich nicht ab. Guerrini fand interessant, dass er selbst das als eine Art Demütigung empfand.
    Endlich raffte er sich auf und ging auf die Dachterrasse. Er versuchte wieder tief durchzuatmen, aber diesmal fiel es ihm schwer. Das Meer sah bleiern aus. Vor der Sonne hingen Schleierwolken. Trotzdem war es warm. Auf dem Parkplatz stand nur sein besudelter Lancia. All das registrierte er, eins nach dem andern.
    Wir standen die ganze Zeit unter Beobachtung, dachte er. Meine Paranoia war ganz berechtigt. Ich könnte Tuttoverde anrufen und ihm die ganze Scheiße erzählen. Nein, auch keine gute Idee. Tuttoverde hatte sich verändert. Die Ermittlungen waren abgebrochen worden. Deshalb konnte Domenica sich so sicher fühlen. Sie wusste das. Irgendwo im Polizeiapparat gab es eine undichte Stelle. Deshalb wusste sie auch von dem verdeckten Ermittler.
    Selten hatte Guerrini sich so unsicher gefühlt und gleichzeitig so wütend.
    Grazie, papà, dachte er. Das hast du richtig gut gemacht. Eigentlich sollte ich dich hochgehen lassen, und ich bin nicht einmal sicher, ob ich es verhindern kann.
    Er kehrte in die Küche zurück, kickte eine große Scherbe der zerschmetterten Keramikvase zur Seite und griff nach seinem Handy. Als er Lauras Nummer eingab und auf die Verbindung wartete, summte ihr Telefon im Schlafzimmer. Natürlich. Das musste ja sein. Sie stolperte einfach so herum, als wären sie im Urlaub. Warum, verflucht nochmal, hatte sie ihr Handy nicht dabei?

 
    EHE LAURA sich auf den Rückweg machte, schlenderte sie zum Haus der Schweizer. Der weiße Hund lief im Garten herum, und durch eines der riesigen Fenster sah sie Wanner, der ein Handy ans Ohr presste, während er auf und ab ging. Sie winkte ihm zu, er hob kurz den Arm, drehte sich aber weg und machte deutlich, dass er Wichtigeres zu tun hatte.
    Gut, dachte Laura, dann ist ein unerwünschter Besuch sicher nützlich. Sie betrat den Garten und rief nach dem Hund, Gino. Er rannte auf sie zu und sprang freudig an ihr hoch. Laura suchte nach einem Stock, warf ihn, und Gino raste aufjaulend hinterher. Unterdessen erschien Wanner auf der Terrasse, rief: «Moment noch! Ein dringendes Gespräch!»
    Natürlich, dachte Laura. Alle haben ständig wichtige Telefongespräche. Jetzt muss er seinen Rücken freihalten. Der Besuch der Carabinieri hat ihn endgültig aus seiner Ruhe aufgeschreckt. Mal sehen, was er mir erzählen wird.
    Der Hund brachte den Stock zurück, ließ ihn fallen, nahm ihn knurrend wieder auf und legte ihn Laura vor die Füße, schnappte ihn aber sofort wieder, als sie sich bückte. Erwartungsvoll wedelnd tänzelte er vor ihr herum, bei jedem Schritt, den sie auf ihn zu machte, die Flucht ergreifend. Kaum blieb sie stehen, kehrte er zurück, mit breitgezogenem Maul, begeistert von diesem Spiel.
    Netter Hund, dachte Laura. Passt nicht zu seinen Besitzern.

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