Die Stunde der Zikaden
es nicht gern erleben, wenn er ‹hochgehen› würde, wie Domenica es ausdrückte. Orecchio dagegen ist meiner Einschätzung nach in Lebensgefahr. Selbst wenn das hier nur eine Möchtegernmafia ist, werden sie ihn nicht davonkommen lassen. Wir müssen also genau überlegen, wie er geschützt werden kann.»
«Im Moment kann ihm nichts passieren. Er sitzt in Ferruccios Keller. Außer uns und Ferruccio weiß niemand davon.»
«Nicht mal Tuttoverde?»
«Nicht mal Tuttoverde.»
«Aber er kann nicht in Ferruccios Keller bleiben. Du hast ihn ja mehr oder weniger entführt. Das weckt ziemlich unangenehme Erinnerungen in mir. Was hast du mit ihm vor, Teo?»
«Es wird für ihn gesorgt werden.»
«Von wem? Und wie? Ist das schon wieder ein neues Rätsel? Mir reicht’s allmählich!»
«Beruhigen Sie sich, Commissario. Es gibt wirklich einen Plan für Orecchio.» Teo war plötzlich wieder zum Sie übergegangen.
«Was für einen Plan? Und wer hat ihn gemacht?»
«Darüber kann ich noch nicht sprechen. Hier geht es um gegenseitiges Vertrauen, Commissario.»
«Soso, Vertrauen. Ich kann nur feststellen, dass wir alle bisher keinerlei Vertrauen hatten. Es war ja bisher das reinste Räuber-und-Gendarm-Spiel. Wieso sollten wir auf einmal Vertrauen zueinander haben?» Guerrini schlug mit der Faust in den Sand und betrachtete scheinbar interessiert den Abdruck, den er hinterlassen hatte.
«Wartet mal, ehe ihr zu streiten anfangt!» Laura legte eine Hand auf Guerrinis Arm. «Natürlich geht es um Vertrauen. Ich nehme an, dass Teo viel mehr weiß, als er uns sagen will. Vermutlich sind auch noch viel mehr Leute an dieser Geschichte beteiligt als wir drei. Wenn die der Meinung sind, dass sie besser unsichtbar im Hintergrund bleiben, dann ist das vielleicht sinnvoll. Vielleicht sind die Ermittlungen ja gar nicht eingestellt worden. Vielleicht ist das alles nur ein Trick, um an die Organisation heranzukommen. Vielleicht. Deshalb geht es tatsächlich um Vertrauen.»
Guerrini und Teo starrten schweigend vor sich hin.
«Ich möchte von dir nur ein Wort hören, Teo. Als Kommentar oder Antwort auf meine vielen Vielleichts. Könntest du auch ‹vielleicht› sagen? Sozusagen als vertrauensbildende Maßnahme?»
Teo nickte.
«Vielleicht! Habt ihr es beide gehört? Ich sag es lieber nochmal: vielleicht! Was du sagst, klingt ziemlich überzeugend, Laura.»
«Okay, dann lasst uns lieber mal anfangen, sonst wird aus unseren tollen Plänen nichts.»
Sie tauschten Handy-Nummern, und Teo verschwand zwischen den Büschen, während Laura und Guerrini zum Haus zurückkehrten.
«Hast du Domenica eine Vase nachgeworfen?», fragte sie angesichts der Scherben auf dem Küchenboden.
Angelo schüttelte den Kopf.
«Leuten mit Pistolen in den Händen wirft man keine Vasen nach. Es war die Verzweiflungstat eines Sohnes nach einem Telefongespräch mit seinem eigenwilligen Vater.»
«So schlimm?»
«Ja, ziemlich. Er hat rumgepöbelt und mir sogar ein Geschäft angeboten: Ich lasse die Finger von Colalto, und er beendet seinen Handel mit Madonnen. Er ist nicht aufrichtig, verdammt nochmal!»
«Wahrscheinlich schämt er sich und hat Angst.»
«Er hat allen Grund sich zu schämen. Aber was macht er? Er beleidigt mich!»
«Du solltest ihn anrufen.»
«Ich? Er sollte mich anrufen und sich entschuldigen!»
«Trotzdem solltest du ihn anrufen, Angelo.»
«Ah, Laura. Findest du nicht, dass unser Leben irgendwie aus dem Gleis gelaufen ist? Ich wollte das nicht. Ich wollte eine ganz andere Zeit mit dir verbringen. Ich muss mich entschuldigen.»
«Du musst gar nichts, Angelo. Ich finde, was hier geschieht, passt zu uns. Hättest du etwas dagegen, wenn ich dich kurz umarme?»
Guerrini schüttelte den Kopf und drückte Laura an sich. Sie steckte ihre Nase in die kleine Vertiefung neben seinem Schlüsselbein und atmete seinen Duft ein, den sie so sehr liebte. Noch immer war da ein winziger Hauch der Schwefelquellen von Saturnia.
«Du riechst auch ein bisschen nach Hölle», murmelte sie. «Ruf deinen Vater an, ehe du mit Domenica Kontakt aufnimmst. Sag ihm, was los ist.»
Er presste sie so heftig, dass sie kaum Luft bekam, und ließ sie dann behutsam los.
«Ich werde ihn anrufen. Du hast völlig recht. Keine Spielchen mehr! Mit beinahe achtzig kann er wirklich anfangen, erwachsen zu werden.» Als er Lauras Lächeln sah, fügte er hinzu: «Und ich mit beinahe fünfzig.»
Laura verzog sich ins Bad, und Guerrini griff zögernd nach seinem
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