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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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stehen und sah noch einmal auf ihn hinunter. Es war Zeit, an praktische Dinge zu denken. Er mußte ihn in den Wagen legen – Rossanas Wagen – und zur Polizeistation fahren. Er würde eine Aussage zu Protokoll geben müssen, man würde Fragen an sie richten, an sie beide. Was für eine Geschichte sollten sie erzählen?
    »… wir sind ein altes Liebespaar. Heute nachmittag sind wir hinausgefahren, um eine Stunde unter den Olivenbäumen bei der ›Zuflucht‹ zu verbringen. Ich war verrückt, wie Verliebte nun mal sind. Ich fuhr sehr schnell. Freunde des Gatten dieser Dame stießen den Burschen unter die Räder meines Wagens … Es ist richtig, daß ich gedroht habe, ihn zu töten. Es ist richtig, daß ich ihn verprügelt habe … Aber das hier, das ist was anderes. Eine Falle, verstehen Sie? Eine Falle für einen einfältigen Mann, der mit der Wahrheit hausieren geht …«
    Diese Erklärung war offenbar unmöglich. Ihre Geschichte mußte vollkommen anders lauten. Wohl war es notwendig, die Wahrheit zu sagen, denn wenn sie logen, würden sie sich leicht in Widersprüche verwickeln, sobald es zu einem regelrechten Verhör kam. Die Wahrheit, ja. Aber nicht die ganze Wahrheit. Und weil sie beide die gleiche Geschichte erzählen mußten, mußte er seinen Verdacht vor Rossana verbergen und weiter den Geliebten und besorgten Freund spielen. Ja, wenn möglich, sie sogar zu seinem Werkzeug machen, genau so wie andere sie zu ihrem Werkzeug gegen ihn machten.
    Über einen Trumpf verfügte er: Die Wahlen standen vor der Tür. Orgagna mußte um jeden Preis einen Skandal vermeiden. Ein Skandal, in den seine Frau und ihr früherer Geliebter verwickelt waren, konnte ihm sehr schaden. Wenn er bereit war, seinem Namen zuliebe einen Mord zu begehen, würde er gewiß nicht vor ein oder zwei bequemen Lügen zurückschrecken.
    So gering die Hoffnung war ; sie gab Ashley doch Kraft, zurückzugehen und Rossana zu trösten, den Wagen zurückzustoßen und das schlaffe, schwere Bündel in den Rücksitz zu betten.
    Dann begann er, langsam und vorsichtig, Rossana zu erklären, wie die Dinge standen. Sie war blaß und zitterte. Der Schreck hatte ihr Gesicht gezeichnet. Sie saß, weit weggerückt von ihm, ganz auf der rechten Seite des Wagens, die Augen ängstlich von der grässlichen Ladung im Rücksitz abgewendet. Doch hörte sie aufmerksam zu und schien auch zu verstehen, was er von ihr erwartete.
    »… wir fahren jetzt zur Stadt zurück. Ich mach' das Verdeck zu und bring' dich zuerst zum Hotel. Dann werde ich zur Polizei fahren, den Wagen und die Leiche dalassen und meine Aussage zu Protokoll geben.«
    »Aber … aber die Polizei wird uns beide verhören wollen.«
    »Gewiß. Die Polizisten sind jedoch taktvolle Leute. Sie werden verstehen, daß die Herzogin von Orgagna eine empfindsame Dame ist und dementsprechend tief erschüttert. Sie werden sie später vernehmen, wenn Ihre Hoheit ausgeruht sind und die Unterstützung ihres Gatten haben werden.«
    »Was wirst du ihnen sagen?«
    »Die Wahrheit. Wir sind sehr schnell gefahren. Es hat keinen Zweck, das zu leugnen. Die Bremsspuren und der Zustand der Leiche sprechen eine sehr deutliche Sprache. Meine Entschuldigung ist, daß du zum Dinner verabredet warst, was der Wahrheit entspricht, und daß die Straße frei war, was auch stimmt. Ich werde beschreiben, wie wir Garofano auf der Einfassung über der Straße sahen und wie er direkt vor den Wagen zu fallen schien; wie wir ihn aufhoben und zur Stadt brachten. Das ist alles. Keine Erklärungen, nichts.«
    »Aber wie erklärst du – uns?«
    »Wir sind alte Freunde. Dein Mann und ich kennen uns gut. Du wolltest mir die schöne Landschaft zeigen. Auch das ist die Wahrheit – wenigstens ein Teil davon –, und es verwickelt uns nicht in Lügen. Verstehst du? Wir dürfen nicht lügen. Wir dürfen nichts ausschmücken. Sobald wir das tun, kommen wir in Schwierigkeiten – alle beide.«
    »Ich verstehe.«
    »Die Frage ist, wird es dein Mann verstehen. Wird er mich als alten Bekannten anerkennen?«
    Sie lächelte matt. »Es bleibt ihm nicht viel anderes übrig.«
    »Überhaupt nichts«, sagte Ashley bestimmt. Er trat auf den Anlasser. Rossana legte die Hand auf seinen Arm.
    »Richard, da ist noch etwas …«
    »Ja?«
    »Wie willst du es der Polizei erklären?«
    »Was?«
    Sie deutete auf die Straßeneinfassung.
    »Wieso er da oben war – wie er herunterfiel. Ich meine, das klingt alles so unwirklich. Genauso, als würden wir eine

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