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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Geschichte erfinden, um unser schnelles Fahren zu entschuldigen.«
    »Hör zu, Liebling!« Er wandte sich ihr zu und sagte ohne Umschweife: »Wir werden es so erzählen, weil es die Wahrheit ist, ganz gleich, wie sie klingen mag.« Sie schüttelte müde den Kopf.
    »Du verstehst die Neapolitaner nicht. Und schon gar nicht die neapolitanische Polizei. Gib ihnen eine Zeile eines Dramas, und schon wollen sie eine Oper draus machen. Was so aussieht wie die Wahrheit, ist wichtiger als die Wahrheit selbst. Es erleichtert der Polizei die Arbeit und macht es leichter für uns. Du mußt ihnen einfach einen bequemen Ausweg zeigen. Ein ganz gewöhnlicher Unfall ohne alle Komplikationen und mit nichts, woraus die Journalisten eine große Geschichte machen können.«
    »Was meinst du, soll ich ihnen erzählen, Rossana?«
    »Nun, ganz einfach … ganz einfach, daß der Mann die Straße entlang gekommen ist, ohne uns zu beachten. Du hast ihn zu spät gesehen. Du hast gehupt, er erschrak und sprang in die falsche Richtung, und du hast ihn überfahren. Ein Unfall, verstehst du?«
    »Nein«, sagte Ashley, »durchaus nicht.«
    »Aber Richard …«
    »Wir werden es so erzählen, wie es geschehen ist.« Seine Augen waren hart. Er preßte die Lippen zusammen.
    »Warum willst du mich nicht verstehen?«
    Er nahm sich nicht die Mühe zu antworten. Er gab Gas und steuerte den Isotta auf die Straßenmitte. Er verstand nur zu gut. Auf einer kilometerlangen, schnurgeraden Straße einen Fußgänger zu überfahren, galt in jedem Land als Totschlag. Wenn zu allem Überfluss ein Motiv vorhanden war, konnte man es sogar als Mord erscheinen lassen. Jetzt konnte kein Zweifel mehr bestehen, daß Rossana ihn verraten hatte.
    Langsam fuhr er die gewundene Straße bergab.
    Inspektor Eduardo Granforte war ein großer, sanft wirkender Mann mit winzigen Händen und Füßen. Er hatte ein rundes, unschuldiges Gesicht, eine samtene Stimme, ein unaufrichtiges Lächeln und sanfte Augen. Er liebte seinen Beruf, weil es ein leichter Beruf war. Und es lag ihm daran, daß es so blieb.
    Granforte war ein höflicher Bursche, der genau wußte, wie man mit ausländischen Gästen und besonders mit ausländischen Journalisten umgehen mußte. So half er denn auch Ashley mit einer Geschwindigkeit und Vollendung über den ersten schwierigen Teil des Verhörs, daß dem Amerikaner beinahe der Atem stockte.
    In aller Eile wurde der Wagen weggebracht und gewaschen. Garofanos Leiche wurde bis zur Leichenschau in einer Zelle des Gefängnisses deponiert. Durch einen Anruf im Hotel schaffte der Inspektor ein sauberes Hemd und einen Anzug für Ashley herbei, dessen Kleider blutbefleckt waren.
    Es wurde Kaffee gebracht, und amerikanische Zigaretten gingen reihum. Ashleys Einvernahme begann in einer unerwartet verbindlichen Atmosphäre.
    »Der Wagen, sagen Sie, ist Eigentum Ihrer Hoheit, der Herzogin von Orgagna?«
    »Jawohl!«
    »Sie hatte Sie gebeten, zu fahren?«
    »Ja.«
    »Sie sind im Besitz eines gültigen Führerscheins?«
    »Selbstverständlich. Ich hatte ihn zwar nicht bei mir, aber …«
    Inspektor Granforte winkte liebenswürdig lächelnd ab.
    »Es genügt vollkommen, daß Sie ihn besitzen, Signore. Wir sind hier keine Kleinlichkeitskrämer – ausgenommen selbstverständlich, wenn es unvermeidlich ist.«
    »Sie sind sehr liebenswürdig.«
    »Keine Ursache, Signore!« Der Inspektor verbeugte sich. »Sie fuhren also auf den Berg. Und bei der Rückfahrt waren Sie in Eile, weil Ihre Hoheit eine Verpflichtung zum Dinner hatte?«
    »Richtig.«
    »Wie schnell fuhren Sie etwa zur Zeit des Unfalls?«
    Ashley zuckte die Schultern.
    »Das kann ich nicht sagen. Ich habe nicht auf das Tachometer gesehen. Jedenfalls ziemlich schnell.«
    »Aber die Straße ist außerordentlich kurvenreich – allzu schnell konnte es doch wohl nicht sein?«
    Ashley ergriff die Leine, die ihm zugeworfen wurde. Der Inspektor wußte, was er zu tun hatte. Orgagna war ein großer Mann – von der Sorte, die sehr viel für einen Polizeioffizier aus der Provinz tun konnte, vorausgesetzt, daß dieser wußte, was man von ihm erwartete.
    »Das ist allerdings richtig – die Kurven vermindern die Geschwindigkeit.«
    »Sie fuhren also in angemessenem Tempo. Was geschah dann?«
    »Ihre Hoheit schrie auf. Es erschreckte mich, weil die Straße völlig frei war. Ich warf einen Blick nach oben und entdeckte einen Mann am Rand der ziemlich hohen Straßeneinfassung. Er schwankte. Ich riß den Wagen zur Seite, und in der

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