Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
Eingangshalle, in der einen Hand eine braune Mappe, in der anderen einen Becher Kaffee. Sie hatte ihr krauses Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, der trotzdem noch bis zu den Schulterblättern reichte, und ihr dunkelgrünes Kostüm war nach einem langen Tag im Büro etwas zerknittert. Unter den Augen hatte sie leichte violette Ringe. Sie gab ihm die Mappe, behielt aber den Kaffee. »Danke«, sagte Logan und begann die Papiere durchzusehen, um sich zu vergewissern, dass alles an den richtigen Stellen unterschrieben war.
»Ähm … Sergeant McRae«, sagte sie, »wie ich höre, sollen Ihre Besucher aus Edinburgh möglicherweise für die Misshandlung und Ermordung von Karl Pearson verantwortlich sein. Ist das wahr?«
»Hmmm? Oh. Möglich ist es, aber wir können ihnen bis jetzt nichts nachweisen; es ist vorläufig nur eine Vermutung. Danke, dass Sie das alles so schnell fertig gemacht haben, Ms. Tulloch, das weiß ich wirklich zu schätzen.«
Sie lächelte. »Kein Problem. Und es heißt ›Miss Tulloch‹, nicht ›Ms‹. Sie können aber Rachael zu mir sagen.«
Logan erwiderte das Lächeln. »Wenn das so ist – ich heiße Logan.« Er streckte die Hand aus. »Sehr erfreut, Rachael.« Draußen vor der Tür bearbeitete jemand eine Hupe – das laute, gellende trööööööööööt war auch durch die geschlossene Eingangstür nicht zu überhören. »Das dürfte DI Steel sein. Ich muss los. Nochmals vielen Dank.« Und dann war er wieder draußen, gerade rechtzeitig, um in eine Wolke aus blauem Dieselqualm von einem vorbeifahrenden Bus einzutauchen.
Steel hatte sich aus dem Autofenster gehängt, die Zigarette im Mundwinkel, und paffte aus Leibeskräften. »Na los, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.« Steel fuhr eine Abkürzung durch die Stadt, um den Stau auf der Union Street zu umgehen, und kurvte durch die kleinen Seitenstraßen der Wohnviertel, vorbei an blassen Granitfassaden, denen die sinkende Sonne mit ihrem orange goldenen Schein ein bisschen Farbe verlieh, ehe sie hinter den Giebeln versank.
»Wussten Sie schon«, fragte Logan, als DI Steel den Wagen schließlich schräg gegenüber von dem angeblichen Unterschlupf Chibs und seines Kumpels anhielt, »dass wir in Aberdeen auf eine Million Einwohner gerechnet mehr Morde begehen als ganz England und Wales zusammengenommen?«
Steel zog die Handbremse an und starrte ihn an, als hätte er sich mit Filzstift Volltrottel auf die Stirn geschrieben. »Das glauben Sie doch selber nicht: Allein in Manchester bringen sie in einem Monat mehr Leute um die Ecke als wir im ganzen verdammten Jahr! Wer hat Ihnen denn den Scheiß erzählt?«
»Rachael; und außerdem ist es gar kein Scheiß – überlegen Sie doch mal: Es ist der Durchschnittswert –«
»Wer ist denn bitte schön ›Rachael‹?« Sie drehte ihr Fenster ein Stück herunter und kramte in ihren Taschen nach der unvermeidlichen zerdrückten Zigarettenschachtel.
»Die neue stellvertretende Staatsanwältin; sie –«
»Ich dachte, Sie vögeln mit WPC Watson – wenn gerade keine Prostituierte greifbar ist, meine ich.« Sie schnaubte, steckte sich die Kippe an und ließ den Rauch in die Abendluft aufsteigen. »Passen Sie bloß auf, wenn Sie nicht wollen, dass sie Ihre Eier als Ohrringe zweckentfremdet. Watson kann ein ganz schön rachsüchtiges Luder sein, wenn sie nur will.«
»Was? Nein!« Logan starrte Steel entsetzt an. »Da läuft nichts! Wer hat Ihnen denn erzählt, dass da was läuft?«
Steel hob abwehrend die Hände und sah ihn durch einen Rauchschleier an. »Ich hab ja nur gesagt, nehmen Sie sich in Acht, okay? Wissen Sie, ich mag Sie irgendwie – Sie sind zwar ein Mann, aber nicht so ein totaler Hirnwichser wie die meisten Ihrer Geschlechtsgenossen – trotzdem …« Sie starrte aus dem Fenster. »Hören Sie, es gibt ein paar Dinge im Leben, die dürfen Sie nie als selbstverständlich betrachten. Glauben Sie mir – es passiert einem viel zu leicht, dass man den Job an die erste Stelle setzt und vergisst, was wirklich wichtig ist.« Sie seufzte. »Machen Sie bloß nicht alles kaputt, okay?« Zum ersten Mal hatte Logan das Gefühl, dass ihre Bemerkung nicht sarkastisch gemeint war – was wiederum ziemlich ironisch war, da sie schließlich diejenige war, die ihn ständig mit Arbeit überschüttete und damit Jackie auf die Palme brachte.
Sie saßen eine Weile schweigend da. Dann erwachte das Funkgerät knisternd und knackend zum Leben – es war DC Rennie, der meldete, dass der Transporter seine
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