Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
ein ovales Gesicht mit schweren Tränensäcken unter den Augen und einem Netz geplatzter Äderchen auf Nase und Wangen. »Ich hab’s doch denen auf dem Revier schon gesagt: Der Scheck von der Versicherung ist in der Post.«
»Wir sind nicht deswegen hier, Mrs. …?«
Panik blitzte in ihren Augen auf, rasch gefolgt von einem herausfordernden Grinsen. »Und was wollen Sie dann?«
»Letzten Dienstag waren Sie in eine handgreifliche Auseinandersetzung mit Mr. Cruickshank von nebenan verwickelt.«
»Wer sagt das?« Sie begann die Tür ganz langsam wieder zuzuziehen.
»Ich will von Ihnen etwas darüber hören. Und zwar jetzt gleich. Bevor ich Sie festnehme und aufs Revier schleppe.« Logan ließ sie ein falsches Lächeln sehen. »Es liegt ganz an Ihnen.«
Sie schloss die Augen und fluchte. »Okay, okay«, murmelte sie, steckte die Hände in die Taschen des Bademantels und stapfte zurück ins Haus, wobei sie die Tür offen ließ. Sie folgten ihr durch einen mit Gerümpel vollgestellten Flur in die Küche, von wo man durch ein verschmiertes Fenster auf ein zerwühltes, mit Hundespielzeug übersätes Rasenrechteck blickte. Die Blumenbeete an den Rändern waren zerwühlt und von Unkraut überwuchert. Die Küche selbst war ein einziges Chaos von Pizzakartons, Imbissverpackungen aus Plastik, in denen noch das Fett schwamm, leeren Bierdosen und schmutziger Wäsche, die aus einem übervollen Korb quoll. Und über allem hing ein fauliger Geruch, der aus dem Spülbecken zu kommen schien.
Auf dem Tisch lag ein Stapel ungeöffneter Post, hauptsächlich Rechnungen. Logan hob die oberste auf. Sie war an Mrs. Clair Pirie adressiert, und durch das Sichtfenster glaubte er die Worte LETZTE MAHNUNG zu erkennen. »Ist Mr. Pirie auch in der Nähe, Clair?«
Sie riss ihm den braunen Umschlag aus der Hand und stopfte ihn in eine ohnehin schon überquellende Schublade. »Das geht Sie ’nen Scheißdreck an. Der blöde Arsch hat sich schon vor Jahren verpisst.«
»Aha.« Logan sah zu, wie sie den Wasserkocher anklickte und einen Teebeutel von einer Untertasse mit einem ganzen Haufen verschrumpelter brauner Säckchen nahm. »Für uns nicht, danke. Sie wohnen also allein hier?«
»Nein … doch, ich meine, ja. Allein.« Ganz schön verdächtig. Logan lehnte sich gegen die Anrichte und starrte sie schweigend an, während das Wasser im Kocher sich unter Brodeln und Zischen erhitzte. »Okay, okay«, sagte sie schließlich. »Mein Gott … Mein Freund hat bis vor kurzem hier gewohnt, okay? Wir wollten ihn demnächst hier anmelden. Aber wir sind nicht mehr zusammen, okay? Zufrieden? Das Schwein hat mich sitzen lassen.« Die vertrocknete Teebeutel-Leiche landete in einem dreckigen Becher und wurde mit kochendem Wasser übergossen.
»Erzählen Sie uns von den Leuten nebenan, Clair.«
»Diese blöde Kuh mischt sich ständig überall ein – hängt ihre Scheißplakate auf für anderer Leute Hunde, das vorwitzige Luder. Und er ist ein Arschloch. Dauernd steht er hier auf der Matte und beschwert sich über irgend’nen Scheiß. Nie kann man’s ihm recht machen.«
»Haben Sie ihn deswegen geschlagen?«
Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht, verschwand aber gleich wieder. » Er hat damit angefangen. Ist rübergekommen und hat geschimpft wie ’n Rohrspatz. Nicht für ’n Penny Manieren, der Mann.« Sie riss den Kühlschrank auf, nahm einen Karton Milch heraus und kippte einen Schuss in den wässrigen Tee. Ein entsetzlicher Gestank breitete sich in der Küche aus – schimmliger Käse und der unverwechselbare widerlich süße Geruch von Fleisch, dessen Haltbarkeitsdatum schon sehr lange abgelaufen ist. Aber Clair schien sich nicht daran zu stören.
»Haben Sie schon gehört, dass er vermisst wird?«
Sie erstarrte, den schmutzigen Teebecher an die Lippen gehoben. »Ach was?«
»Seit Mittwoch – einen Tag, nachdem Sie ihn attackiert haben.« Logan beobachtete ihre Augen, und da war eindeutig irgendetwas – er wusste nur noch nicht, was es war. »Komischer Zufall, wie?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Was hat das mit mir zu tun? Ist wahrscheinlich eh bloß mit einem von seinen Flittchen über alle Berge und hat sein schmachtendes Weibchen einfach sitzen lassen. Aufs Abstellgleis geschoben …« Clair fischte den Teebeutel mit einer Gabel aus dem Becher und warf ihn in das dreckstarrende Spülbecken. »So macht ihr Scheißkerle das doch, oder?«
Als sie wieder draußen in der Sonne standen, schnappte Rennie nach Luft. »O Mann«, sagte
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