Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
die Tür vor der Nase zuknallen, aber Steel hatte schon den Fuß drin. Irgendwo in der Wohnung begann ein Baby zu weinen.
Die Betreuungsbeamtin ging in die Hocke, um mit dem Jungen auf Augenhöhe zu sein, und sagte: »Hallo, ich heiße Alison. Wer passt denn auf dich auf, wenn deine Mami weg ist?«
Der Kleine sah erst sie an, dann Steel und dann wieder Alison. »Sind Sie blöd oder was? ›Mami‹ ist nicht weg. ›Mami‹ ist tot.« Aber der Trotz in seiner Stimme begann zu bröckeln. »Kapierst du das nicht, du blöde Kuh? Sie ist tot!« Das Baby im Hinterzimmer schrie lauter, und der Junge drehte sich um, ließ eine Flut von Schimpfwörtern vom Stapel und erklärte dem Baby, was er mit ihm anstellen würde, wenn es nicht auf der Stelle die Klappe hielte. Als er fertig war, standen Tränen in seinen Augen.
Sie überließen es der Betreuungsbeamtin, das Jugendamt anzurufen und die Kinder abholen zu lassen.
Logan hatte einen ernsthaften Durchhänger, als sie aufs Präsidium zurückkamen. Dem Jungen sagen zu müssen, dass er und seine kleine Schwester ins Heim mussten, hatte diesem Tag wirklich noch die Krone aufgesetzt. Das Treten und Kratzen und Spucken, die Flüche, die Drohungen …
Immerhin hatten sie jetzt einen Verdächtigen: Jamie McKinnon, Rosie Williams’ Zuhälter und Exlover. Er hatte Vorstrafen wegen Körperverletzung, Drogenbesitz, Einbruch, Ladendiebstahl und Autodiebstahl. Es gab kaum etwas, das Jamie nicht schon mal ausprobiert hatte. Laut Aussage des Jungen hatte Rosie Jamie rausgeschmissen, weil er sie so schlimm verprügelt hatte, dass sie eine Woche lang nicht arbeiten konnte. DI Steel ließ sämtliche Streifenwagen in der ganzen Stadt anfunken. Sie sollten ihr Jamie aufs Revier bringen, wenn’s ging, freiwillig, ansonsten in Handschellen.
»Na schön«, sagte sie, nachdem der Fahndungsaufruf ergangen war, »sonst noch irgendwas, was ich wissen sollte?« Logan erzählte ihr von der neuen stellvertretenden Staatsanwältin und ihrem Wunsch, eine Sammlung gebrauchter Kondome anzulegen. Steel bekam einen solchen Lachanfall, dass Logan dachte, sie würde sich die Lunge aus dem Leib prusten. »Na, besser Sie als ich, Schätzchen!«, sagte sie schließlich und wischte sich eine Träne aus dem Auge.
»Was ist denn daran so witzig?«
»Die Vorstellung, wie Sie dem Suchtrupp verklickern, dass sie nach gebrauchten Verhüterlis suchen sollen! Die werden im Dreieck springen!«
»Wie käme ich denn dazu, es ihnen zu sagen? Sie sind doch die Vorgesetzte!«
Steel sah ihn an und grinste breit. Zigarettenrauch quoll zwischen ihren Zähnen hervor. »Das nennt man Delegieren, Mr. Polizeiheld. Ich delegiere, Sie agieren.« Sie wies ihm die Tür. »Ab mit Ihnen.« In letzter Sekunde fiel ihr noch etwas ein: »Ach, und wenn Sie schon dabei sind, können Sie gleich Ihre kondomverrückte Freundin anrufen und mir einen Haftbefehl für Jamie besorgen.«
Logan stapfte davon in Richtung Aufzug. Das war mal wieder typisch DI Steel. Er machte die ganze Arbeit, während sie nur dasaß und rauchte und am Schluss die ganzen Meriten einheimste. Grollend rief er Rachael Tulloch an und erzählte ihr von Jamie McKinnon. Sie versprach, umgehend einen Haftbefehl aufzusetzen. Dann rief Logan die Leitstelle an und ließ sich zu dem Team durchstellen, das die Gasse absuchte. Die Jungs waren nicht gerade begeistert, als sie hörten, dass sie ab sofort jede Lümmeltüte, die sie finden konnten, einsacken sollten. Absolut nicht begeistert. Aber inzwischen war Logan sowieso schon alles wurst. Es war fast fünf, und er war seit vierzehneinhalb Stunden im Dienst. Die Tagschicht war zu Ende. Zeit, nach Hause zu gehen.
5
Auf Logans Schreibtisch wartete eine eklige kleine Überraschung, als er am Mittwochmorgen zum Dienst erschien. Die Kollegen vom Suchtrupp hatten seinen Auftrag ausgeführt und jedes einzelne gebrauchte Kondom, das sie in der Shore Lane hatten finden können, sorgfältig eingetütet und etikettiert. Und es waren verdammt viele, die sich da in seinem Eingangskorb stapelten: kleine glitschige Latexröhrchen, jedes in seinem eigenen transparenten Plastikbeutel, in den sich der Inhalt ergoss. Mit angewiderter Miene schaufelte Logan sie alle in einen Pappkarton und versuchte, nicht daran zu denken, was die kleinen Tütchen so kalt und klamm machte.
DI Steel erschien gar nicht erst zur Morgenbesprechung, also saßen die Mitglieder des Versagerclubs einfach nur an ihren Tischen herum, tranken Kaffee und schwatzten. Das
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