Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
Fleisch in Fetzen von den Knochen hing, tanzten durch seine Wohnung und starrten ihn mit Augen wie flüssige Eidotter an. Kein Wunder, dass er sich beschissen fühlte. Heute würde er aber ganz bestimmt PC Maitland einen Besuch abstatten. Einfach mal vorbeischauen und sehen, wie es ihm ging. Und ein bisschen Schuldgefühle abbauen.
DI Steel war in der Einsatzzentrale, wo sie sich mit DI Insch unterhielt und dabei an einer Schachtel Zigaretten herumfummelte. Logan war so müde, dass er gar nicht erst versuchte, ihrem Gespräch zu folgen, also schlurfte er stattdessen zu seinem Schreibtisch und grübelte darüber nach, was er wegen DI Steel unternehmen sollte. Sie hatte ihm klipp und klar zu verstehen gegeben, dass er die Finger von Kylie lassen sollte – um die Anzeigen wegen Sex mit Minderjährigen würde sie sich persönlich kümmern. Und wenn er irgendwem auch nur ein Sterbenswörtchen davon erzählte, würde sie ihm die Eier abreißen.
Auf seinem Schreibtisch lag eine Plastiktüte voller Videokassetten, jede mit einem Aufkleber versehen, auf den jemand die Worte »Operation Aschenputtel, 2. Nacht« gekritzelt hatte, und daneben eine dicke Aktenmappe: das Vorstrafenregister von Chib Sutherland. Logan seufzte, holte sich einen Becher Kaffee und begann zu lesen.
Chib war ganz der reizende Bursche, als den Colin Miller ihn geschildert hatte. Den größten Teil seiner prägenden Jahre hatte er im Jugendknast verbracht, weil er einen Erzieher des Kinderheims, in dem er untergebracht war, niedergestochen hatte. Das war erst der Anfang einer glänzenden Karriere als Schwerverbrecher gewesen, die ihre Krönung fand, als er für den großen Wohltäter der Menschheit Malcolm McLennan alias Malk the Knife zu arbeiten begann. Der hatte den Jungen unter seine Fittiche genommen und ihn nach seinem Bild geformt: zu einem skrupellosen Kriminellen, der sich künftig nicht mehr erwischen ließ. Laut Lothian and Borders war er der Hauptverdächtige in mindestens acht Mordfällen, nur dass in keinem einzigen Fall die Beweise ausgereicht hatten, um ihn zu überführen. Aber es waren Menschen verschwunden und nie wieder gesehen worden. Und dann waren da die Leichen, die man gefunden hatte , übel zugerichtet und verstümmelt. Jeder wusste, dass Chib dafür verantwortlich war; nur nachweisen konnte man es ihm beim besten Willen nicht. Nicht, wenn so viele Zeugen von plötzlichem Gedächtnisschwund ereilt wurden oder gegen einen Kricketschläger liefen.
»Ey, Lazarus.« Logan blickte auf und sah DI Steel an seinem Schreibtisch stehen. Mit ihren vergilbten Zähnen grinste sie auf ihn herab. »Gute Nachrichten«, sagte sie, »oder beschissene, wie man’s nimmt. Wie’s scheint, haben die großen Jungs unten im Süden beschlossen, der armen alten Oma Grampian Police ein bisschen über die Straße zu helfen. Ist das nicht spitze?« Als Logan keine Antwort gab, knallte sie ein paar DIN-A4-Blätter auf den Bericht, den er gerade las. »Sie haben uns ein vorläufiges psychologisches Täterprofil geschickt! Wow! Laut Insch haben Sie schon mal mit diesem bebrillten Arsch zusammengearbeitet, der das da verzapft hat, und deshalb – dreimal dürfen Sie raten!« Steel strahlte über beide Ohren und knuffte ihn in die Schulter. »Deswegen haben Sie ›einschlägige Erfahrung‹. Ich will wissen, was der ganze Quark in dem Bericht bedeutet, und – was noch wichtiger ist – ob irgendwas davon das Papier wert ist, auf dem es gedruckt ist. Und lassen Sie sich nicht zu lange Zeit: Unser Freund, der klinische Psychologe, ist in diesem Moment auf dem Weg hierher. Ich brauche von Ihnen eine Zusammenfassung, bevor er um elf hier aufkreuzt.« Logan versuchte, nicht zu stöhnen. Stattdessen tippte er auf die Plastiktüte mit den Videokassetten und fragte Steel, was er ihrer Meinung nach damit machen solle. »Das ist mir doch so was von scheißegal«, war die Antwort. »Nehmen Sie sie mit nach Hause und überspielen Sie sie, wenn Sie wollen; ist ja nicht so, als würden wir uns das Zeug jemals angucken.« Auf halbem Weg zur Tür blieb sie noch einmal stehen. »Ach, und vergessen Sie nicht, was wir letzte Nacht besprochen haben.« Die Drohung war nicht zu überhören: Erzählen Sie irgendwem davon, und Sie sind erledigt.
Dr. Bushel war noch genau so, wie Logan ihn in Erinnerung hatte: arrogant, selbstzufrieden, kahlköpfig und tadellos gekleidet. Die Neonbeleuchtung spiegelte sich in seinen kleinen runden Brillengläsern, als er im Besprechungsraum vor
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