Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
viel Schlucken nicht vertreiben konnte. Er hob den Kopf, sah ein ihm unbekanntes Schlafzimmer. Über der Lehne eines Stuhls hing ein Paisleykleid.
Die beiden nächsten Gedanken kamen gleichzeitig.
Das ist nicht mein Zimmer. Ich habe nichts an.
Die Frau neben ihm ebenfalls nicht. Sie bewegte sich, kuschelte sich ins Kissen. Danny starrte ihre langen, dunklen Haare an, den herunterhängenden Unterkiefer. Verschwommene Erinnerungen stiegen auf: eine betrunkene Umarmung auf dem Parkplatz eines Pubs, eine Taxifahrt irgendwohin, plötzliche Leidenschaft, kaum dass sich die Haustür geschlossen hatte. O Gott, wie hieß sie gleich wieder? Es war ein Mädchen, mit dem er zur Schule gegangen war. Jetzt konnte er ihr Gesicht sehen, wie sie sich vor abuelas Haus aus dem Autofenster lehnte und ihn fragte, ob er es wirklich sei, der kleine Danny Sanchez aus der Achten.
Die Schleusen der Erinnerung öffneten sich. Sie hatten sich auf der Straße unterhalten, nachdem sie ihn beinahe überfahren hatte, und ausgemacht, sich später auf einen Drink zu treffen. Aus einem Drink waren schnell zwei und dann vier geworden, die Hemmschwelle sank, und man tauschte Geständnisse gegenseitiger Verliebtheit in der Schule aus, und so wurde aus dem Wiedersehen zuerst ein Flirt und dann Verführung.
Stimmte das? War er wirklich in sie verliebt gewesen? Falls ja, half es ihm auf jeden Fall nicht, sich an ihren Namen zu erinnern. Doch an etwas anderes erinnerte er sich jetzt. O Mann, er hatte vielleicht dick aufgetragen, hatte den mit allen Wassern gewaschenen Journalisten heraushängen lassen, mit seinem Spanisch geprahlt und in Kurzschrift geschrieben. So wie er seine berufliche Tätigkeit dargestellt hatte, war der Pulitzerpreis nur noch eine Frage der Zeit. Das war der Geschmack, den er nicht loswurde: Wie die Nase reagierte auch der Sanchez-Gaumen extrem empfindlich auf Schwachsinn, vor allem, wenn er selbst produziert wurde.
Er setzte sich langsam auf, schwang die Beine aus dem Bett und versuchte, sie nicht zu stören. Wo waren seine Klamotten? Seine Boxershorts hingen an der Kommode. Sonst war nichts zu sehen.
Er ging hinaus auf den Treppenabsatz und stützte sich am Geländer ab, als der Schmerz in seinem Kopf nach vorne schwappte und er beinahe gestolpert wäre.
Kleidungsstücke, sowohl von ihm als auch von ihr, lagen auf dem Absatz verstreut und auch auf der Treppe, die ins Wohnzimmer führte. Er folgte der Spur und zuckte zusammen, als die Stufen unter seinem Gewicht knarrten. Noch immer schmeckte er ihren Lippenstift auf seinem Mund, roch ihr Parfüm auf seiner Haut. An den Sex konnte er sich jedoch nicht erinnern.
Letztendlich fand er alles bis auf seine Socken. Doch er zog sich nicht an, wusste nicht so recht, was er tun sollte. Er nahm die Reisezahnbürste und die Zahnpasta, die er immer dabeihatte, putzte sich in der Küche die Zähne und hielt dann den Kopf unter den kalten Wasserstrahl. Davon wurde ihm nicht besser. Er schüttelte die Haare aus und starrte seine beiden Optionen an: Wasserkessel oder Haustür.
Es war schon lange her, dass er sich in einer solchen Situation befunden hatte. Der Anstand verlangte, dass er sich nicht einfach davonschlich. Aber er konnte nicht wieder nach oben gehen, ohne ihren Namen zu wissen. Auf Zehenspitzen schlich er durchs Haus und suchte nach etwas, das ihm weiterhalf.
Eine laminierte Kennkarte an einem blauen Band rettete ihn: Marsha Constance. Das war es. Sie hatte in Physik ihm gegenübergesessen, ein stilles, aber freundliches Mädchen. Er betrachtete das Foto auf der Kennkarte genau. Sie war hübsch auf eine unscheinbare Art; ihre Figur beschrieb man höflicherweise als grobknochig. Danny hatte keinen besonderen Typ – weibliche Gesellschaft war viel zu selten, als dass sich ein Muster hätte herausbilden können –, aber Marsha schien mit seinen früheren Partnerinnen eins gemeinsam zu haben: Sie sah nämlich auch ohne viel Make-up gut aus.
Der Gedanke an Make-up war in seinem Zustand nicht gut. Ein unerfreuliches Bild der Leiche in Alan Reades Haus platzte wie eine Blase auf der Oberfläche seines Bewusstseins. Er kämpfte gegen die Übelkeit an, trank ein Glas Wasser. Sein Blick fiel auf das Logo auf der Kennkarte: Surrey Constabulary.
Noch eine Schleuse ging auf.
Marsha arbeitete als Telefonistin bei der Polizei, nahm Notrufe entgegen, bewertete die Schwere des Notfalls und leitete ihn an die entsprechende Polizeieinheit weiter. Jetzt fielen ihm die frühen Teile ihrer
Weitere Kostenlose Bücher