Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
Mittelschicht. Doch Danny hatte sie trotzdem als Polizistengattin erkannt: Es waren die vor der Zeit gealterten Augen, die tiefen Falten an den Mundwinkeln von zu vielen allein und sorgenvoll durchwachten Nächten. Sie gab sich große Mühe mit ihrem Lächeln. Es war offensichtlich, dass sie sich fragte, wer dieser Fremde war, den ihr Mann so bereitwillig in ihr Haus eingelassen hatte.
»Das ist Mr. Sanchez, meine Liebe. Wir gehen einfach durch in den Wintergarten.«
Auch Mrs. O’Byrne fielen Dannys Socken auf. Auch sie zuckte zusammen. »Soll ich Tee kochen, wenn ich von Hilda zurückkomme?«
»Das wäre wunderbar, meine Liebe.«
Sie nickte Danny zu. »Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Sanchez.«
Ihre Worte klangen hohl. Man lernte, so etwas zu bemerken. Sie war nicht glücklich über Dannys Anwesenheit.
O’Byrne führte Danny in einen hinten ans Haus angebauten Wintergarten und ließ ihn dort allein, um etwas zu holen. Danny hatte ein paar Minuten Zeit, über die perfekten Reihen mit Tomatenpflanzen und Salatköpfen im Garten zu staunen, bis O’Byrne mit einem Aktenordner voller Dokumente zurückkehrte.
»Ich wusste schon beim ersten Blick, dass Sie Journalist sind.« Seine Stimme verriet, dass das für ihn keine angenehme Erkenntnis gewesen war. »Bringen wir zunächst einmal die Präliminarien hinter uns. Alles, was ich sage, ist inoffiziell, außer ich gebe Ihnen spezifisch die Erlaubnis, mich zu zitieren – und auch dann will ich meinen Namen nicht genannt haben. Wenn ich Ihnen die Erlaubnis zum Zitieren gebe – was wohl kaum passieren dürfte –, dann bin ich ›eine Quelle, die früher bei der britischen Polizei Dienst tat‹. Haben wir uns verstanden?«
»Vollkommen.«
O’Byrne hob ein Diktafon in die Höhe. »Nur um sicherzugehen werde ich unser ganzes Gespräch aufnehmen. Wenn Sie mich verarschen, sehen wir uns vor Gericht wieder.«
Auf der Hut, wie nur ein Expolizist es sein konnte. Danny hoffte, das Gedächtnis des Mannes war so gut wie sein Geschick im Umgang mit der Presse.
»Was sagen Sie zu diesem Artikel?«, fragte Danny.
»Er ist auf jeden Fall interessant. Aber ich verstehe nicht so recht, was Sie von mir wollen. Ich bin nicht mehr bei der Polizei.«
»Aber Sie waren der Aussagenprüfer beim Vogelscheuchen-Prozess, richtig?«
»Ich war einer von ihnen. Es war ein gigantisches Verfahren.«
»Aber Sie waren von Anfang an dabei?«
Ein Nicken.
»Ich will Sie nur nach Ihrer Meinung fragen.«
»Dann fragen Sie.«
»Könnte zwischen diesen Verbrechen eine Verbindung bestehen? Ich meine, zwischen den Morden hier und den in Spanien aufgefundenen Leichen.«
»Wie könnte das sein? Ishmael Vertanness befindet sich seit 1995 in Deepmere.«
»In Bezug auf die Vogelscheuchen-Ermittlung, wer oder was war Dorothy?«
O’Byrne beugte sich vor. »Woher haben Sie das?« War sein Ausdruck zuvor wachsam gewesen, war er jetzt argwöhnisch.
»Ich recherchierte in den Notizen, die ein anderer Journalist über diesen Fall angelegt hatte. Der Name Dorothy kam ein paarmal vor, immer in Großbuchstaben geschrieben – als wäre das ein Codename oder dergleichen.«
O’Byrnes Unbehagen wuchs, während er über etwas nachdachte. »Ich werde es Ihnen erklären, aber zuerst will ich, dass Sie sich des Galgenhumors bewusst sind, der in polizeilichen Ermittlungen dieser Art vorherrscht. Je schlimmer das Verbrechen, desto schwärzer der Humor. Ich schätze, das ist so eine Art, äh … Dampfablassen.«
»Das kenne ich.«
»Bei Fällen wie diesen versuchen wir, die präzisen Details des Verbrechens geheim zu halten. Es geht nicht nur allein um Panikverhinderung, es hilft uns auch beim Verhör von etwaigen Verdächtigen. Wenn sie Wissen über den Tatort an den Tag legen, das nie öffentlich gemacht wurde, hilft uns das, die am stärksten Verdächtigen herauszupicken. In der Presse haben wir immer nur erwähnt, dass Vertanness seine Opfer entmannt hatte.«
»Da war noch mehr?«
O’Byrne richtete den Blick kurz in die Ferne. »Gewisse Leichen bekommt man nie mehr aus dem Kopf.«
Danny nickte. Auch das kannte er nur zu gut. Als O’Byrne den Faden wieder aufnahm, klang seine Stimme heiser.
»Ja. In jedem Fall gehörte zu der Verstümmelung auch ein Wort, das über dem Schritt ins Fleisch geritzt war.« Er zog eine imaginäre Linie quer über seinen Hosenschlitz.
»Was für ein Wort?«
»Toto.«
»Toto? Wie der Hund aus dem Zauberer von Oz ?«
»Genau. Und so dauerte es nicht
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