Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
Ermittlungen reden. Die ersten beiden Opfer wurden in Schottland verschleppt, die Leichen jedoch in Nordengland gefunden. Das dritte in England verschleppt, in Schottland gefunden. Das war sofort ein monströses Zuständigkeitsgerangel.
Wissen Sie, die schottisch-englische Rivalität beschränkt sich nicht auf den Fußballplatz. Als dann endlich geklärt war, wer welche Ermittlung leitete, wollte keiner mehr die zusätzliche Komplikation einer möglichen Verbindung zwischen diesen neuen Morden und einer Serie, deren Täter bereits hinter Gittern saß. Außerdem waren die Vorgehensweisen nicht ganz identisch. Die Opfer der Grenzland-Morde waren alle Stricher. Außerdem fehlte das Wort ›Toto‹. Das wurde von denen benutzt, die die Nachahmertheorie favorisierten: Jedes Element der Handschrift des Täters war da, bis auf das eine, das nie an die Öffentlichkeit gelangte.«
Danny hörte aufmerksam zu und sagte dann: »Orson hätte es mit Absicht so machen können. Er hätte mit einem anderen Mörder arbeiten können. Er hatte schon vorher gezeigt, dass er in der Lage war, die Polizei auf die falsche Spur zu führen. Er hätte seine Handschrift mit Absicht verändern können.«
»Nach Ansicht des forensischen Psychologen, den wir beim Vogelscheuchen-Prozess zurate gezogen haben, passiert so etwas nicht.« O’Byrne blätterte in der Akte. »Hier steht’s. Ich zitiere: Der Modus Operandi ist die Art und Weise, wie ein Mörder tötet. Bei einem Amokläufer, der wie im Rausch tötet, kann es eine große Bandbreite von Variationen geben, normalerweise aufgrund der Tatsache, dass die Morde Folge einer psychotischen Episode sind. Ein solcher Täter verwendet häufig, was er gerade zur Hand hat, oder er erdrosselt oder erschlägt seine Opfer. Bei Serienmördern gibt es normalerweise weniger Variationen. Sie benutzen eher etwas, von dem sie wissen, dass es funktioniert.
Die Handschrift des Mörders lässt jedoch auf spezifische rituelle Handlungen schließen, die während oder nach dem Mord vollzogen werden. Serienmörder sind immer motiviert durch eine spezifische, verquere Fantasie, oft masturbatorischer oder sexueller Art. Diese Fantasie dominiert sie so sehr, dass die reine Fantasie sie nicht mehr befriedigt. Sie beginnen, die Fantasie auszuleben. Das Opfer ist ein unfreiwilliger Mitspieler in der Inszenierung der Fantasie. Die ritualistischen Aspekte der Handschrift verändern sich nicht. Sie können mit der Zeit komplexer werden, wenn nämlich der Mörder die Aspekte seiner Fantasie verfeinert, die ihm am meisten Vergnügen bereiten; die Fantasie an sich wird sich jedoch nicht ändern, weil sie der einzige Grund für sein Morden ist. «
Danny schaute sich den Ordner an. Ganz oben lag ein Blatt Papier. Es sah aus wie eine Namenliste. O’Byrne schnappte sich das Blatt, als er bemerkte, wohin Danny schaute. Er faltete das Papier zusammen und steckte es sich in die Brusttasche.
»Was ist das?«
»Eine Verdächtigenliste für die Grenzland-Morde. Ich fürchte, die darf ich Sie nicht sehen lassen.«
Danny deutete auf die Fotos. »Kann ich mir die kopieren?«
»Auf gar keinen Fall. Wie Sie selber sagten, eigentlich dürfte nicht einmal ich die haben.«
»Warum haben Sie sie?«
O’Byrne lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Wissen Sie, ich habe sehr lange nicht mehr an diese Geschichte gedacht. Und glauben Sie mir, es dauerte eine Weile, bis ich so weit war, mir darüber nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Es ist ein Klischee, nicht, ein Polizist, der besessen ist von einem ungelösten Fall? Nur hatte ich eben das Pech, von einem verdammten gelösten Fall besessen zu sein.«
»Wie wurde Vertanness gefasst?«
»Dank guter, solider Polizeiarbeit. Und ein wenig Glück. Anders kann man diese Mistkerle nicht kriegen.«
Zum ersten Mal hatte Danny den Eindruck, dass O’Byrne ihm nicht die ganze Wahrheit sagte. Man lernte, diese kleinen, unwillkürlichen Pausen zu erkennen, die einer Lüge vorausgehen. Und dann das Gewäsch, das folgt.
»Sie kennen sicher die Statistiken«, sagte O’Byrne, und seine bisher so ruhige Stimme wurde hastiger. »Die meisten Morde passieren zwischen Menschen, die sich kennen. Wenn es keine Verbindung gibt, wenn ein Fremder willkürlich eine Person tötet, zu der er absolut keine Beziehung hat, wird die Polizeiarbeit ungeheuer kompliziert.«
Danny nahm sich vor, das Wie, Wo und Warum von Vertanness’ Verhaftung genauer zu recherchieren. Jetzt aber wollte er noch eine andere Richtung
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