Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
einen Selbstmordversuch handelte. Die Szene war zu ruhig, zu geplant, um irgendetwas anderes zu sein. Das Mädchen schrie auf und rannte davon. Während Danny auf den Krankenwagen wartete, rekonstruierte er, was passiert war.
Nach Redaktionsschluss war Ray wieder hereingekommen, hatte eine 75-cl-Flasche Jameson getrunken und sich Schostakowitschs Leningrader Symphonie auf seinem winzigen Kassettenrekorder angehört. Dann hatte er Gott weiß wie viele Tabletten geschluckt und auf den Tod gewartet, das Entlassungsschreiben in der einen Hand, einen Brief an Denise in der anderen.
Danny hatte dagesessen, den Kopf in die Hände gestützt und mit Tränen in den Augen, die seinen Blick trübten. Der Anruf, den er an diesem Nachmittag erhalten hatte, kam ihm jetzt in seiner ganzen bitteren Schärfe wieder ins Bewusstsein. »Danny. Ich muss reden.«
Danny hatte sich in dem Augenblick nicht allzu viel gedacht. Verdammt, er war der Starreporter, der Schauplätze besuchte und mit Leuten sprach. »Ray, ich fahre gerade«, log er. »Kann im Augenblick nicht reden. Ich ruf dich zurück.«
Auch das war eine Lüge gewesen. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht. Oder er hatte es vergessen. Seine Erinnerung daran war verschwommen. Doch die grässliche Tatsache blieb: Ray Taylor hatte sich in seinem schlimmsten Augenblick an Danny gewandt.
Und Danny hatte ihn im Stich gelassen.
Die Sanitäter pumpten Ray noch in der Redaktion den Magen aus. Sie schafften es, ihn so weit wieder zu Bewusstsein zu bringen, dass sie ihm einen Schlauch durchs linke Nasenloch schieben konnten. Danny starrte die winzigen Fragmente weißer Tabletten an, die sie aus ihm heraussaugten, und hoffte, dass es noch rechtzeitig geschah.
Als sie das Krankenhaus erreichten, war Ray ins Koma gefallen. Er starb noch in dieser Nacht. Danny und Denise erfuhren es gemeinsam. Danny war hysterisch geworden. Verwandte der Taylors hatten sich gewundert, warum Denise in der Nacht des Selbstmords ihres Vaters einen anderen trösten musste.
Danach zerbröckelte Dannys Leben: Alles scheinbar Solide erwies sich als auf Sand gebaut. Beim Bugle weiterzuarbeiten war unmöglich. Am nächsten Tag hatte er sein Kündigungsschreiben eingereicht und sich dann krank gemeldet: Die Mistkerle hatten Ray auf dem Gewissen, hatten ihm die Basis seines Lebens entrissen, nur um ein paar armselige Pennys einzusparen. Aber die Wut verflog ziemlich schnell, was blieb, waren Schuldgefühle und Kummer.
Es war nicht die Schuld des Bugle , sondern Dannys. Er wartete noch die Beerdigung ab und zog am Tag darauf mit einem Koffer und einer Gitarre nach Spanien. Sein letzter Blick auf Fleet war der aus dem Heckfenster eines Taxis um zwei Uhr nachmittags: ein Betrunkener, der versuchte, das Pappschild über einem großen Stapel Haushaltsutensilien auf dem Rasen zu lesen: BEDIENT EUCH . ADIÓS .
Er würde nie zurückkehren, hatte er beschlossen, also was soll’s?
Aber er war zurückgekehrt. Danny spürte Tränen auf den Wangen. Kimberley war blass vor Zerknirschung. Sie reichte ihm Papiertaschentücher, umarmte ihn und holte dann zwei Tassen Kaffee. »Eine armselige Entschädigung für einen Fauxpas solch gigantischen Ausmaßes«, sagte sie, öffnete eine Schublade und holte einen Flachmann heraus, »aber ich hoffe, ein Schluck hiervon wird dir helfen, mir zu verzeihen.« Sie goss je einen kräftigen Schuss in beide Tassen.
Danny nippte an seinem mit Brandy versetzten Kaffee. »Du hast recht, Kim. Das ist nicht nur ein Höflichkeitsbesuch, ich muss dich um einen Gefallen bitten.«
»Dann mal los.«
»Benutzt die Zeitung noch immer einen Pressedienst?«
»Nicht mehr so oft wie früher. Die da oben erwarten, dass wir alles aus dem Internet holen.« Sie klopfte auf die Seite eines riesigen Monitors, der ihren halben Schreibtisch einnahm. »Aber wollen sie Geld für Flachbildschirme ausgeben? Glaub ich erst, wenn ich einen habe.«
»Aber du hast noch immer Kontakt zu einem Dienst.«
»Das wollen wir doch gleich mal rausfinden«, sagte sie, nahm den Hörer ihres Festnetztelefons und schaltete auf Lautsprecher. Es klingelte einmal, dann hörte man eine barsche Stimme: »Was willst du?«
»Aber Nathan, spricht man so mit einer Lady?«
Die Stimme lachte, ein kurzes, schroffes Bellen. »Was willst du, Mylady?«
»Zugriff auf eure Datenbanken. Ich habe hier einen jungen Mann, dem ich einen Gefallen schulde.«
»Und was will er ?«
Kimberley bedeutete Danny, er solle sprechen. Ihre Blicke kreuzten
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