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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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No.
    Rufus sah, wie Bent sich einen großen Eisenklumpen aussuchte. Dann wandte er sich Meister Zachus zu.
    »Was wollt ihr denn wissen?«, fragte dieser No.
    »Ich will rausfinden, was alles aus Stechpalmenholz angefertigt wurde«, erklärte No.
    »Oh«, nickte der Werkmeister. »Ein interessanter Baum. Zunächst einmal waren das Zauberstäbe.«
    No sah ihn ungläubig an
    »Das ist kein Witz«, sagte der Meister. »Der Stechpalme wurden nämlich schon in vorchristlicher Zeit magische Schutzkräfte zugeschrieben. Also die Macht, das Böse zu verbannen. Das liegt daran, dass sie einer der wenigen immergrünen Bäume in Mitteleuropa ist. Deswegen wurde sie zu einem Symbol für Unsterblichkeit, genau wie der Tannenbaum.«
    »Ach so«, grinste No erleichtert. »Ich dachte schon, so richtig mit Simsalabim …«
    »Unterschätze die alten Beschwörungsformeln nicht«, mahnte Meister Zachus. »Sie gehören nicht nur zu den ältesten Zeugnissen der Literatur. Sprechen ist immer auch Handeln. Und Handeln zeigt Wirkung. Aber gut, die Idee eines Zauberstabs scheint dich nicht anzusprechen. Und wenn du gerade an deinem Fragment forschst, ist dein Bauchgefühl sicher ein guter Ratgeber. Aus Stechpalme wurden weiterhin auch Gebinde für den Palmsonntag gemacht.«
    »Was ist denn der Palmsonntag?«, fragte No nach.
    »Der letzte Sonntag vor Ostern«, erklärte der Meister. »Mit ihm fängt die Karwoche an, die Trauerwoche vor Ostern, in der man sich an das Leiden und Sterben von Jesus am Karfreitag erinnert. Der Name Palmsonntag stammt von einem alten Brauch aus Jerusalem. Dort gedachte man des Einzugs von Jesus in die Stadt in einer Prozession mit Palmen. Denn Palmen sind ein christliches Symbol für den Lebensbaum oder den Paradiesbaum.«
    »Paradiesbaum?«, fragte No.
    »Der Baum der Erkenntnis«, antwortete Meister Zachus und fuhr fort: »Dieser Brauch wurde auch in Europa gepflegt. Aber da hier keine Palmen wachsen, verwendeten die Menschen einheimische Büsche für die Gebinde. Zum Beispiel eben Tanne oder auch Wacholder und Stechpalme. Und nach der Prozession wurden diese sogenannten Palmen dann auch zur Abwehr von allem Bösen auf dem Hof oder dem Feld benutzt.«
    Verwirrt sah No seine Freunde an. »Ob mein Fragment von so einem Gebinde kommt? Vielleicht war es so eine Art Vogelscheuche gegen böse Geister?«
    Der Werkmeister lachte auf. »Das ist schon möglich.«
    »Und, was löst dieser Gedanke bei dir aus?«, fragte Filine.
    No schüttelte langsam den Kopf. »Wieder nicht viel«, sagte er dann. »Wozu wurde denn Stechpalme sonst noch so verwendet?« Er schaute Meister Zachus fragend an.
    Der Werkmeister schüttelte den Kopf. »Mehr kann ich dir im Augenblick nicht sagen. Ich müsste selbst erst weiter nachforschen. Aber das wird einige Tage dauern. Es ist jedenfalls kein Holz, das häufig Verwendung fand.«
    »Vielen Dank, Meister Zachus!«, sagte No.
    »Gut, dann gehe ich wieder zu meinen Jungschmieden.«
    Filine, Rufus und No sahen ihm nach, als er zu den Lehrlingen zurückging. Diese hatten inzwischen damit begonnen, ihre Stahlklumpen durchzuglühen.
    »Das möchte ich auch gerne mal machen«, sagte No sehnsüchtig. »Sobald ich alles über Stechpalme rausgefunden habe.«
    »Und wie machen wir da jetzt weiter?«, erkundigte sich Rufus.
    No blickte auf. »Wisst ihr was? Ich bin echt hundemüde! Das Trommeln war irgendwie ganz schön anstrengend gleich nach dem Ludere raptim. Ich glaube, ich gehe auf mein Zimmer und ruhe mich erst mal aus. Oder ich laufe einfach ein bisschen durch die Akademie. Das hilft mir manchmal beim Nachdenken. Ich komme immer noch dauernd in Säle und Ecken, die ich noch nicht kenne.«
    Rufus dachte an die seltsame Brücke zum Rochusturm, unter der sich Wasserfluten abspielen konnten, und den Rochusturm selbst. Er hatte inmitten der Akademie unter freiem Himmel gestanden. Und doch war der Turm in der Akademie verborgen. Ja, die Akademie war wirklich gewaltig. Er nickte.
    »Ich bin auch ziemlich erledigt. Ich hole mir noch was zu essen und gehe dann in mein Zimmer.«
    Filine zuckte die Schultern. »Wie ihr wollt. Wir sehen uns dann spätestens morgen früh in der Mensa, einverstanden? Und wenn einer was rausfindet, können wir uns ja vorher wieder treffen.«
     
    Als Rufus mit einem Teller Brot und Käse sein Zimmer betrat, merkte er, dass es eine gute Entscheidung gewesen war, für heute eine Pause einzulegen.
    Er war todmüde.
    Seit dem frühen Morgen war unheimlich viel geschehen.
    Rufus

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