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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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dir keine Sorgen machen sollst um deinen Kopf und dass wir uns morgen früh wieder bei ihr treffen. Ich komme gerade von ihr, und ich habe auf dem Weg hierher noch mal über dieses Buch über Waffen und Speere und so nachgedacht und … Rufus …«
    No breitete glücklich die Arme aus.
    »Ich glaube, da war eine Flut!«
    Er sah Rufus mit leuchtenden Augen an. Doch der schwieg.
    »Zumindest eine kleine Flut!«, rief No. »Also, so ein Flutzipfel, verstehst du?! Ich bin ganz sicher! Es war draußen auf dem Gang. Da war gestern schon mal was, aber ich konnte nichts sehen … Aber eben! Ich habe eben zwei Gesichter gesehen. Es ist bestimmt die richtige Spur. Sie waren nur ganz kurz da, mehr wie so ein Aufflackern. Das waren bestimmt die Speerträgerinnen. Oder die Speermacher! Sie waren ganz blau. Unheimlich blau! Ich meine, blaue Gesichter … das gibt es ja eigentlich nicht. Aber sie waren es ganz bestimmt. Jedenfalls das, was ich erkennen konnte. Es waren zwei Mädchen. Amazonen oder so!«
    No fuchtelte wie wild mit den Armen.
    »Und jetzt wollte ich sagen, wenn du mitkommst, dann holen wir Fi und probieren es noch mal zusammen. Die Speere waren der richtige Hinweis! Das war sicher eine Flut. Und du hast doch gestern beim Frühstück selbst gesagt, zusammen –«
    »No!«, wiederholte Rufus. Er war jetzt wieder ganz wach, doch sein eigener Traum schwebte ihm noch schwach vor Augen, er war noch in ihm. Wenn er jetzt schnell wieder einschlief und sich erinnerte …
    »No, ich kann jetzt nicht.«
    »Aber … das ist eine Flut!«
    »Ja, vielleicht. Du sagst selbst vielleicht. Es kann ja auch sein. Aber du denkst doch die ganze Zeit an nichts anders. Vielleicht hast du es dir ja auch nur sehr gewünscht. Und ich bin todmüde.«
    »Aber …«, wiederholte No tonlos.
    »Bitte, No. Ich muss über was nachdenken …« Rufus schwieg. Er wusste nicht, wie er es No erklären sollte.
    »Hat das was mit Coralia zu tun?«
    »Wie kommst du denn darauf?«, Rufus sah No erschrocken an. Wusste sein Freund etwa, wo er gewesen war? Rufus versuchte schnell an die Lichtung zu denken und an die Schatten.
    »Nein«, sagte er. »Oder vielleicht doch, aber nicht so, wie du denkst. Es ist jedenfalls wichtig!«
    »Verstehe!« No drehte sich um. »Aber ich gehe jetzt trotzdem zu Fili.«
    »Bitte, No, warte doch bis morgen früh.«
    Fassungslos sah sein Freund ihn an. »Endlich habe ich die richtige Spur gefunden und eine Flut ausgelöst, ich meine vielleicht ausgelöst … und du sagst mir, ich soll bis morgen warten, wegen deiner neuen Freundin. Hältst du mich für komplett bescheuert?«
    »Werd doch nicht gleich sauer«, versuchte Rufus ihn zu beruhigen. »Ich will einfach nur über was nachdenken.«
    »Dann tu’s doch!«
    No presste wütend die Lippen aufeinander, drehte sich um und marschierte aus dem Zimmer. Er zog die Tür hinter sich zu, wie Rufus sie zugezogen hatte, wenn seine Mutter ihn mal wieder mit ihren Ideen über nicht für die Schule, für das Leben lernen wir belabert hatte: Mit einem Knall.
    »No!«, rief Rufus und starrte die Tür an.
    Was hatte er nur getan? Er sprang auf, riss die Tür wieder auf und lief hinter No her. »No, es tut mir leid, ich war … ich war einfach nur eingeschlafen …«
    »Dann schlaf weiter!«, knurrte No. »Und bleib mir bloß vom Leib mit Coralia.«
    »No, aber ich, ich kann ja mitkommen.«
    »Nein! Ich gehe alleine.«
    No wandte sich ab und ging schnell durch den Flur davon.
    Rufus eilte ihm hinterher. Aber dann blieb er stehen. Noch sah er den Traum in sich. Wenn er No jetzt folgte, würde er die Bilder bestimmt verlieren.
    Er drehte sich um und kehrte in sein Zimmer zurück. Schweigend schloss er die Tür hinter sich. Vor dem Fenster lag Dunkelheit. Rufus kauerte sich in seinen Sessel. No war wütend auf ihn und verletzt. Und er war es zu Recht.
    Gleichzeitig spürte Rufus, wie er sich langsam wieder beruhigte. Er dachte an den Schatten und die Lichtung. Warum war das alles so wichtig für ihn? Wegen Coralia? Oder wegen Minster? Oder war es etwas ganz anderes?
    Rufus atmete tief ein und aus. Er schloss die Augen und legte den Kopf an die hohe Rückenlehne.
     
    Rufus befand sich wieder in einem Wald. Er sah sich um, aber er konnte den kleinen Schatten, der ihm eben noch vorausgeeilt war, nicht entdecken. Stattdessen war es sehr dunkel, und Rufus spürte eine intensive Kälte.
    Dann hörte er eine Stimme.
    Der Lehrling sah sich nach der Lichtung um, konnte sie aber nirgends ausmachen. Alles, was

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