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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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sich vorsichtig auf dem zweiten Sessel nieder.
    »Ich hatte einen Hinweis darauf bekommen«, beantwortete Coralia Rufus’ Frage, »von jemand, der vor uns an der Akademie studiert hat. Er hat das Buch auch lange gesucht, aber nie gefunden. Mir ist es dann gelungen.«
    Sie blies auf ihren dampfenden Tee.
    »Hast du schon reingeguckt?«
    »Es ist ein sehr verwirrendes Buch«, sagte Rufus. »Ich hatte eigentlich gehofft, dass ich darin Antworten auf einige Fragen finden würde. Aber …« Er schüttelte etwas hilflos den Kopf.
    »Wegen deiner Träume«, sagte Coralia sanft. »Was hast du denn genau geträumt?«
    »Woher wusstest du das mit den Träumen?«, entgegnete Rufus.
    Coralia lächelte ihn an. »Weil ich solche Träume auch habe. Und weil ich genauso verwirrt war wie du, als sie anfingen.«
    »Und warum willst du mit mir darüber sprechen?«
    Coralia lachte hell auf. »Weil du gut bist, Rufus. Du bist der erste Lehrling überhaupt, der dieses Buch außer mir entdeckt hat. Jedenfalls, wenn man einmal Meisterin Iggle außer Acht lässt. Sie hat sich als Lehrling auch eine Zeit lang damit beschäftigt. Angeblich zusammen mit Meister Spitznagel, aber genau weiß ich es nicht. Du vielleicht?«
    Rufus dachte an sein Gespräch mit dem Kochmeister und seine seltsamen Worte. »Ich glaube, er weiß etwas darüber«, sagte er vorsichtig.
    Coralia nickte zufrieden. »Ja, das dachte ich mir. Die beiden sind damals aber nicht weit gekommen. Hast du in dem Buch die nachträglich eingefügten Überschriften bemerkt?«
    »Ja«, antwortete Rufus. »War sie das etwa? Hat Meisterin Iggle mit Tinte in ein Buch geschrieben?«
    Coralia kicherte. »Da war sie eben noch keine Magistra Bibliothecaria. Sie schämt sich bestimmt noch heute dafür. Damals hat sie, soviel ich gehört habe, mächtigen Ärger deswegen bekommen. Und das war auch ein Grund dafür, dass sie die Arbeit an dem Buch aufgegeben hat.«
    Rufus nickte nachdenklich. Selbst die Meisterin hatte das Buch also nicht verstanden. Dann sagte er: »Das Buch ist so seltsam. Träume und Tiersprachen vermischen sich dauernd, und es wird nicht klar, wie das alles zusammengehen soll.«
    »So wirkt es jedenfalls.« Coralia machte eine Pause. »Aber ich denke, im Wesentlichen geht es darum, dass Nikolai Zeitschneider behauptet, dass er mit Tieren sprechen konnte, und dass diese Tiere ihn in seinen Träumen in Fluten geführt hätten. Nur konnte er das leider nie beweisen.«
    »Und warum nicht?«, wollte Rufus wissen.
    »Ganz einfach, weil die Fragmente, deren Rätsel er angeblich in seinen Traumfluten gelöst haben will, nie in der Akademie auftauchten. Oder zumindest nie gefunden wurden.«
    Coralia nahm einen Schluck Tee und sah Rufus aufmerksam an.
    »Er beschrieb sie zwar sehr genau, und es handelte sich dabei auch sehr sicher um Artefakte, die man in der Geschichte lokalisieren kann, aber es gab keinen einzigen Beweis dafür, dass er diese sogenannten Traumfluten erfolgreich gemeistert hätte.«
    Staunend hörte Rufus zu. Dann fragte er: »Meinst du wirklich Traumfluten? Also eine richtige Flut mit einem richtigen Artefakt, das sich am Ende materialisiert, wenn man seine Geschichte rausbekommen hat?«
    »Das hat Nikolai Zeitschneider jedenfalls behauptet«, sagte Coralia. »Er meinte aber auch, dass er nie den richtigen Ort gefunden hätte, um eine Traumflut zu Ende zu bringen. Dass das vielleicht nicht überall möglich wäre …« Sie machte eine Pause und sah Rufus erwartungsvoll an. Aber da er schwieg, fuhr sie fort: »In der Akademie galt er deswegen jedenfalls irgendwann als Verrückter. Er trug allerdings auch selbst dazu bei, weil er begonnen hatte, nur noch in seinen Traumfluten zu leben und nie wieder an einer normalen Flut mit anderen Lehrlingen teilnahm. Und es ist ihm wohl auch zeit seines Lebens nicht mehr gelungen, eine gewöhnliche Flut auszulösen.«
    »Ach nein?«, fragte Rufus hastig.
    Etwas ängstlich stellte er seine Tasse ab.
    »Sind diese Träume denn eine Gefahr? Verbrauchen sie irgendwie die Kräfte?«
    Coralia zuckte die Achseln. »Ehrlich gesagt halte ich das für Angstmacherei. Ich glaube, dass die anderen sich einfach vor Nikolai Zeitschneider gefürchtet haben, weil er mehr konnte als sie. Und es gibt auch einen Beweis, dass er kein Spinner war. Sein Wissen über Geschichte wuchs so kontinuierlich und schnell, dass niemand es wagte, ihn offiziell in Frage zu stellen. Alle behaupteten zwar, er wäre verrückt und gefährlich. Aber er wurde sogar ein

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