Die Stunde des Raben
du uns denn nun?«, fragte No ungeduldig, nachdem sie bereits eine halbe Ewigkeit durch die Gänge und Säle der Akademie liefen.
»In ein altes Planetarium«, erwiderte Filine. »Es ist ziemlich in Vergessenheit geraten, weil die umfassenden historischen Kenntnisse der Meister über die Jahrhunderte die Bedeutung des Sternenhimmels zur Zeitbestimmung in den Hintergrund treten ließen. Aber es ist einsatzbereit.«
»Ein Planetarium?«, rief Rufus überrascht.
»Ja«, gab Filine zurück. »Eigentlich ist es eine Planetenmaschine. Sie befindet sich ganz in der Nähe der Bibliothek. Genauer gesagt, direkt über ihr. Ich habe sie zufällig entdeckt, als ich auf der dritten Leiter ganz oben an eins der Regale musste, um an ein Buch über die Vorfahren der Ägypter zu kommen.« Filine sah No an und lächelte. »Über meine einhundertdreiundsechzigste Großmutter! Da habe ich gesehen, dass auf einem Absatz direkt unter der Decke der Bibliothek eine alte Tür hinausführt. Und Meister Iggle hat mir dann gesagt, was da ist.«
Sie bog in einen dunklen Gang ab und zeigte im Vorbeigehen auf eine Holztür an der Seite. »Da geht es in die Bibliothek.«
Die drei liefen weiter. Dann machte Rufus am Ende des Ganges eine schmale eiserne Tür aus. Im Näherkommen bemerkte er, dass in deren Mitte eine flammende Sonne prangte, um die feine Kreise gezogen waren.
»Es ist nicht so ein Planetarium, wie ihr es vielleicht aus der Schule oder so kennt«, erklärte Filine. »Es ist viel älter und hat natürlich keine Laserprojektoren, mit denen man die Sternenbilder an die Decke wirft. Es funktioniert mechanisch.«
»Mechanisch, echt? Das ist ja der Hammer!«, stieß No hervor. »Warum hast du davon noch nichts erzählt?«
»Ich habe hier ein bisschen gearbeitet und wollte meine Ruhe haben«, gab Filine zu. »Und ich dachte, wenn ich es dir sofort zeige, bist du bestimmt nicht mehr so schnell von der Maschine wegzukriegen.«
Sie kicherte und stieß die Tür auf.
Die drei Lehrlinge traten in einen langen Saal, der an ein Kino oder Theater erinnerte. An den beiden Längsseiten waren richtige Logen angebracht, in denen Stühle auf eine Leinwand am Ende des Saales gerichtet waren. In der Mitte des Raumes stand ein gewaltiges Rad, das die Lehrlinge um einige Meter überragte. In diesem waren große und kleine bewegliche Kugeln angebracht und ebensolche Scheiben und Räder aus Metall, die umeinander zu schweben schienen wie Planeten auf ihren Bahnen.
Filine nahm eine Schachtel Streichhölzer von einem halbrunden Tisch neben der Tür und zündete eine Kerze in einer Lampe aus geschliffenem Glas an.
Der Schein der Lampe tauchte den Raum in ein schwaches Licht. Rufus erkannte, dass einige der Kugeln in den Metallrädern kleine Löcher hatten. Neugierig ging er auf die Maschine zu.
»Das hier«, sagte Filine, »ist die mechanische Planetenmaschine, die den Umlauf der Planeten um die Sonne zeigt. Aber sie kann noch mehr. Ihr Erfinder, ein Mann namens Adam Walker, hat sie durch eine raffinierte Beleuchtungsmaschinerie so verfeinert, dass ihr Bild an die Leinwand da hinten projiziert werden kann. Man nennt das ein Eidouranion, und es ist der Vorläufer der heutigen Planetarien. Doch diese Maschine funktioniert besser als alle bisher bekannten, denn die Akademiker haben sie im Lauf der Zeit immer weiter perfektioniert. Außerdem ist sie mit einem Himmelswerk versehen, das die Sternenbilder höchst genau mitprojiziert. Man kann mit ihr jeden Tag in jedem Jahrtausend am Himmelszelt sichtbar machen. Und das so genau, dass wir auf diesem Globus hier ablesen können, an welchem Ort der Erde und an welchem Tag der eingestellte Himmel zu sehen war. Ich zeige es euch mal …«
Filine trat an einen gewaltigen Globus, der sie um Haupteslänge überragte. Über diesem hing ein goldener Kegel, dessen Spitze auf den Globus wies. Sie zeigte auf den Nordpol. »Die Kegelspitze zeigt den Punkt der Erde, der mit dem eingestellten Himmelsbild korrespondiert. Und hier«, sie deutete auf ein Zählwerk, »wird das Datum angezeigt.«
Rufus trat vor und sah sich das Zählwerk an. Im Moment standen dort die Zahlen 00.00.0000. Dahinter waren noch einige Rädchen mit weiteren Zeichen zu sehen, darunter ein kleines Minus, ein Plus sowie Schriftzeichen, die Rufus noch nie gesehen hatte.
»Die Planetenmaschine ist gerade ausgeschaltet, deswegen wird kein Datum angezeigt«, erklärte Filine. »Die Zeichen auf den Rädern dahinter zeigen übrigens an, ob es vor Christus
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