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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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Ton drang an sein Ohr und Rufus hob den Kopf. Neben ihm war No stehen geblieben. »Das klingt wie ein Horn«, meinte er. »Was hat denn das jetzt zu bedeuten?«

Myrddin
    Kaum hatte No die Worte ausgesprochen, veränderte sich die Szene um sie.
    Statt auf offenem Feld standen die Lehrlinge jetzt in einem dichten Wald. Der Ton wurde lauter. Dunkel und klagend drang er durch die Bäume zu ihnen heran.
    Außerdem war Tag.
    »Ist das der Wald, in dem die Weide steht?«, fragte Filine.
    »Keine Ahnung«, antwortete No.
    Rufus sah sich aufmerksam um. »Es könnte sein«, meinte er dann. »Es war eine Lichtung, und in der Mitte befand sich ein kleiner Hügel.«
    Der Wald rauschte und der seltsame Ton verklang. Dann standen die Lehrlinge plötzlich auf der Lichtung. Im selben Moment sahen sie die zwei Mädchen vor sich.
    Aili stand unter dem Weidenbaum und löste den Knoten in den Ästen. Ihre Schwester kniete neben ihr und grub mithilfe eines Steines ein Loch in den Waldboden. Daneben lag der Reif ihrer Mutter. Hinter den Mädchen stand Tyrai und hielt eine scharf gebogene Trompete in Händen. Ihre Mündung sah aus wie ein Wildschweinkopf, und aus ihr drang der klagende Ton, den die Lehrlinge zuvor gehört hatten.
    »Wir danken dir, Weidenbaum«, begann Brae zu beten, »dass du unsere Mutter beschützt hast, und dass sie die Angreifer unseres Dorfes bestrafen konnte. Unsere Mutter, die Königin der Icener, sendet dir zum Dank ihren Wendelring.«
    Sie nahm den gewundenen Goldreif und legte ihn in das Loch. Dann schüttete sie Erde darüber.
    »Baumgötter!«, rief Aili in diesem Moment. »Dürfen wir eine letzte Bitte äußern?«
    Ein leichter Wind fuhr durch die Zweige der Weide. Die beiden Schwestern blickten sich an. Rufus sah, dass ihre Gesichter jetzt nicht mehr bemalt waren, und zum ersten Mal erkannte er, dass sie viel jünger waren, als er gedacht hatte. Sie waren höchstens dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Sie waren Kinder!
    »Wir werden jetzt nach Norden reisen, unsere Mutter hat es befohlen. Wir sollen zu den Druiden. Bitte beschützt uns auf unserem Weg und bitte beschützt auch unsere Mutter.«
    Aili kniete sich neben Brae und klopfte die Erde über dem Wendelring fest. Dann erhoben sie sich.
    »Tyrai, lass uns aufbrechen.«
    Tyrai nahm die Trompete von den Lippen und ging zu dem Wagen, der ein paar Meter entfernt unter den Bäumen stand.
    »Ja, meine Königinnen.« Er tätschelte den beiden Pferden den Hals und wartete auf Brae und Aili.
    Im nächsten Moment wechselte der Schauplatz der Flut wieder. Die Lehrlinge standen auf einer mit groben Steinen gepflasterten Straße.
    No zuckte zusammen. »Mann, diese Flutwechsel gehen manchmal aber echt rasend schnell. Habt ihr eine Ahnung, worauf das alles hinausläuft?«
    »Es hat mit den Schwestern zu tun«, sagte Filine bestimmt. »Aber warum uns die Flut an den Baum geführt hat, verstehe ich nicht. Wir wussten doch schon, dass sie hier ihren Dank abstatten wollten.«
    »Jetzt haben sie es getan«, sagte Rufus. »Sie haben den Halsschmuck ihrer Mutter unter der Weide vergraben. Habt ihr das auch verstanden, dass sie den Reifen ›Wendelring‹ genannt haben? Das Wort kannte ich nicht.«
    »Ich habe es auch zum ersten Mal gehört«, bestätigte No. »Aber dieser Wendelring war aus Gold. Und diese Trompete war auch aus Metall. Ansonsten war da kein Artefakt, von dem mein Holzfragment stammen könnte.«
    Rufus nickte. Auch wenn die Flut unter der Weide im Wald begonnen hatte, hieß das natürlich nicht, dass sie dort endete. Er schaute auf.
    Die Straße vor ihnen war verlassen. Sie führte durch eine ebene Landschaft, und nur ab und zu schob sie sich an den Waldrand heran oder passierte einige hohe Büsche. Dann wurde das Geräusch rollender Räder hörbar und hinter ihnen näherte sich der Wagen mit Tyrai, Brae und Aili.
    »Sie sind auf dem Weg nach Norden«, sagte Filine.
    »Aber was sollen wir denn hier? Hier ist nichts! Nur diese Straße.« Fragend sah No sich um.
    Im nächsten Moment war ein lautes Krachen zu hören. Im selben Augenblick geriet der Streitwagen heftig ins Schlingern. Mit einem Aufschrei stürzten Brae und Aili auf die Straße. Tyrai griff fest in die Zügel und brachte den Wagen nach einigen Metern zum Stehen. Er sprang ab und eilte den beiden Mädchen zu Hilfe.
    »Habt ihr euch verletzt?«
    »Nein«, fauchte Brae und verzog das Gesicht. »Aber der Weg der Rotschöpfe ist aus Stein! Was ist denn passiert?«
    »Die Achse ist gebrochen. Sie muss

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