Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
Vom Netzwerk:
den Träumer von den anderen. Sie lösten Furcht aus. Doch seit Nikolai Zeitschneider sind sie als beschriebene, wiederkehrende Traumfluten nicht mehr in Erscheinung getreten. Vielleicht war es auch einfach eine Periode in der Geschichte der Akademie. Also versteife dich nicht darauf. Arbeite weiter an deinem Wissen und mit deinen Freunden und Mitlehrlingen. Und gib dich den Träumen besser nicht allzu sehr hin. Aber wenn sie dir und euch etwas verraten, dann ignoriere es auch nicht grundlos. Einverstanden?«
    Rufus stand auf. »Einverstanden, Direktor Saurini. Ach ja, Meister Zachus meinte, wir sollten besser in einen Flutraum gehen, damit so kurz vor dem Flutmarkt nicht andere mit in die Flut gezogen werden.«
    Saurini nickte. »Ja, das ist eine gute Idee. Ihr könnt das Gewölbe benutzen. Ich werde Meister Spitznagel bitten, dass er euch dort mit Essen versorgt. Und wenn ihr Bücher braucht, lassen wir sie euch durch Minster bringen. Sie liebt das.«
    Als Direktor Saurini Minster erwähnte, fiel Rufus ein, dass er noch nach der Bedeutung der Bisamratte in seinen Träumen hätte fragen können, doch da erhob sich der Direktor auch schon, und im selben Augenblick geschah etwas, dass Rufus alles andere vergessen ließ: Durch die Tür des Büros schlugen plötzlich Flammen.
    Rufus fuhr herum.
    »Rufus, was hast du?«, fragte Saurini.
    »Die Flammen!«, schrie Rufus.
    »Ich sehe keine Flammen.«
    Rufus hielt inne. Das bedeutete, dass es sich um die Flut handelte. Und der Direktor sah sie offenbar nicht, weil er als alter Meister nicht mehr so leicht auf Fluten reagierte.
    »Es ist die Flut«, sagte Rufus und öffnete die Tür. »Filine und No sind da draußen. Ich muss zu ihnen.«
    Der Direktor nickte.
    Die Flut drang jetzt in das Zimmer wie eine Welle in ein sinkendes Schiff. Es war Nacht. In der Ferne gellten Schreie, und Flammen schlugen am Horizont gegen den Himmel.
    Rufus sah Filine und No, die auf einem Feld standen. Neben ihnen blickten die beiden Töchter Boudiccas und Tyrai auf eine brennende Stadt. Die Mädchen trugen farbige Kleider und hatten blau bemalte Gesichter. Rufus sah sich die Muster diesmal genau an. Zwischen den verschlungenen Formen, die die Wangen wie ein kunstvolles Blätterdach bedeckten, saßen bei der einen ein wilder Hund und bei der anderen ein Wolf.
    »Rufus, da bist du ja! No und ich haben nur darüber gesprochen, dass die Königin Tyrai ihren Wagen mitgegeben hat, damit ihre Töchter den Angriff sehen können. Wir fanden das beide ziemlich brutal.«
    »Bei keltischen Kriegszügen sind Kinder und Frauen oft auf Wagen hinter den Kriegern hergezogen und haben ihre Leute von den Wagen aus angefeuert«, rief Saurini aus seinem Büro.
    »Echt?«, entgegnete No. »Das ist ja hammerhart!« Er schluckte. »Dann ging es jedenfalls plötzlich los. Wir waren auf einmal direkt am Rande der Schlacht. Das da hinten muss Camulodunum sein. Die Königin hat es tatsächlich erobert. Wir haben römische Soldaten gesehen, die geflohen sind.«
    Rufus nickte. Er starrte noch immer die beiden Mädchen an, aber sie nahmen ihn eindeutig nicht wahr.
    »Eure Mutter hat Wort gehalten«, sagte Tyrai zu Brae und Aili. »Das römische Lager ist vernichtet.«
    »Nenn die Rotschöpfe nicht Römer«, sagte das ältere Mädchen mit dem Hund auf der Wange.
    »Brae«, widersprach Tyrai. »Sie sind die Herren Roms, sie sind Römer.«
    »Trotzdem sollst du sie so nicht nennen. Unser Vater hat Rom als ein Reich der Kultur angesehen. Aber diese Soldaten hier kennen keine Kultur. Deswegen wollen wir das Wort nicht hören. Jedes Mal, wenn du es aussprichst, erinnert es uns an unseren Vater und den Betrug, den die Rotschöpfe an ihm und uns begangen haben. Unser Vater hat an das freie Rom geglaubt. Aber das ist nur eine Legende.«
    Tyrai lachte bitter auf. »Wahrlich, der irrt, der glaubt, große Reiche bestünden aus Freiheit. Große Reiche bestehen aus Herrschaft.«
    »Dann sieh jetzt genau hin, Tyrai!«, sagte Aili. Das jüngere Mädchen trug den Wolf auf ihrer Wange. »Dort hinten brennen die Kasernen der Rotschöpfe. Es sind die Häuser, in denen sich die Soldaten versteckt haben, als sie unsere Mutter und ihre Krieger kommen sahen. Feiglinge sind es, die sich in ihren Höhlen und Behausungen verkriechen.«
    •
    »Ja, Schwester«, sagte Brae. »Und doch kann ich mich nicht an dem Sieg freuen.«
    »Warum?«
    »Weil unser Vater nicht hier ist, um selbst zu sehen, wie unsere Mutter Rache nimmt.«
    »Brae, Aili«, sagte Tyrai

Weitere Kostenlose Bücher