Die Stunde des Raben
schmerzlichster Behandlung haben wir nicht über uns ergehen lassen müssen, seitdem ihr in Britannien erschienen seid? Hat man uns nicht die meisten und wertvollsten Besitztümer geraubt? Müssen wir nicht für den verbliebenen Rest Abgaben entrichten? Wie viel besser wäre es doch gewesen, ein für allemal an gewisse Gebieter verkauft zu sein, als leere Worte von Freiheit zu hören und sich dann Jahr für Jahr loskaufen zu müssen? Und selbst das Sterben ist bei euch nicht umsonst! Jeder hier weiß, was für gewaltige Abgaben wir sogar für unsere Verstorbenen zu entrichten haben! Bei den übrigen Völkern schenkt der Tod sogar Sklaven die Freiheit, bei den Römern jedoch bleiben zu deren Vorteil auch noch die Toten lebendig! 2 Oh, ja, Legionär, eine großartige Zivilisation ist es, die ihr unter eurem Cäsar nach Britannien bringt!«
Der Legionär hatte Filine mit ungläubiger Miene zugehört. Jetzt fuhr sein Kopf ruckartig zu No herum und er brüllte: »Bring das Mädchen zum Schweigen oder es wird ihm übel ergehen!«
No stand da wie versteinert. Rufus stieß ihn in die Rippen, doch als er nicht reagierte, wandte er sich selbst an Filine.
»Fili!«, flüsterte er auf Deutsch. »Hör auf damit! Wir sollten sie nur etwas ablenken, nicht gleich total wütend machen!«
»Quatsch da nicht rum, Mädchen! Und sprich so, dass ich dich verstehe!«, brüllte der Soldat dazwischen. »Und nun, ihr Schwätzerinnen, sage ich euch, was man bei uns zu solchen Weibern wie euch sagt: Unheil im Hause, in dem der Hahn schweigt und die Henne gackert!«
Die Soldaten brachen in dröhnendes Gelächter aus, und ihr Anführer rieb sich zufrieden den Bauch. Nur einer von ihnen, ein schmaler Junge, zückte einen Griffel aus Knochen und ritzte damit etwas in eine Wachstafel.
»Ja, Cornelius Caesanius, schreib das nur auf!«, lachte der Legionär. »Dieses Sprichwort stammt direkt aus Rom!«
»Es sind nicht deine Worte, Gaius Publius, die ich festhalte, sondern die des Mädchens«, erwiderte der Angesprochene. »Sie waren wohl gewählt.«
»Geschwätz!«, fuhr ihn Gaius an.
»Ich halte sie dennoch für die Nachwelt fest. Als historisches Dokument.«
»Und trotzdem seid ihr Barbaren!«, rief der Soldat namens Gaius Publius, der die drei Lehrlinge entdeckt hatte. »Ihr kennt weder Kultur noch Lebensart.«
»Wir kennen mehr Kultur und mehr Lebensart als ihr!«, fauchte Filine.
No löste sich aus seiner Erstarrung und fasst Rufus am Arm. »Ich denke, du hast einen Plan?«, stieß er hervor. »Dann ist es jetzt höchste Zeit dafür. Mach endlich etwas, bevor sie uns völlig in den Misthaufen reitet!«
Rufus nickte. Schnell trat er vor.
Der Legionär sah das kleinere Mädchen an.
»Hast du auch noch was zu sagen?«
»Ja!«, sagte Rufus fest. »Meine Schwester hat vollkommen recht!«
Fassungslos blickte No ihn an.
»Was?«, fuhr der Soldat auf.
»Ja!«, wiederholte Rufus. »Wir haben mehr Kultur und mehr Lebensart als ihr. Mehr als ihr je verstehen werdet.«
Der Legionär lief dunkelrot an.
»So viel sogar«, fuhr Rufus-Aili schnell fort, »dass wir euch selbst in eurer eigenen Lebensart jederzeit überlegen sein werden.«
»Bist du bescheuert?«, zischte No.
Aber Rufus ließ sich nicht mehr aufhalten. »Wir würden euch sogar beim Ludere raptim besiegen!«
Dem Legionär stand der Mund offen. Dann brach er in höhnisches Gelächter aus. »Du kennst Ludere raptim? Du willst gegen mich Ludere raptim spielen?«
»Spielen und gewinnen«, entgegnete Rufus. »Denn ich beherrsche es besser als du!«
»Ein Mädchen!«, brüllte der Soldat, und die Spucke flog ihm aus dem Mund. »Ein Mädchen will mich und meine Männer im römischsten aller Spiele besiegen. Lächerlich! Hast du etwa ein Wort bei deinen Herren aufgeschnappt, wo du als Sklavin gedient hast und von denen du jetzt geflohen bist?! Natürlich, das ist es! Ihr seid entlaufene Sklaven, das sieht man euch doch an. Und du willst mir meine eigene Kultur beibringen? Das ist gut! Ich habe schon Ludere raptim gespielt, als ich halb so groß war wie du jetzt. Ja, Mädchen, das kannst du haben. Ich und zwei meiner Männer gegen euch drei.«
Er funkelte Rufus, Filine und No an. Dann wandte er sich seinen Männern zu: »Marcus Sallustius und Aulus Lucius, kommt her. Wir spielen zusammen. Und du, Cornelius Caesanius, zeichne ein Feld in den Boden.«
»Zu Befehl, Gaius Publius!«, riefen die Männer.
No in der Gestalt Tyrais war schreckensbleich geworden. »Filine, Rufus! Ihr
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