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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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»Ich bin die Mutter von Hunden und Wölfen, die Römer aber sind Hasen und Füchse und wollen sich erdreisten, über uns zu herrschen? Wenn wir es auch früher versäumten, so wollen wir doch jetzt, meine Landsleute, Freunde und Blutsbrüder, Bewohner einer einzigen Insel, in dieser späten Stunde unsere Pflicht tun, solange wir uns noch daran erinnern können, was Freiheit ist, damit wir unseren Kindern nicht nur den Begriff Freiheit, sondern auch die wirkliche Freiheit übergeben können!
    Habt keine Angst vor den Römern! Sie sind weder zahlreicher noch tapferer als wir. Sie haben sich mit Helmen, Brustpanzern und Beinschienen umhüllt, um durch feindlichen Angriff keinen Schaden zu erleiden. Aus Furcht geben sie nämlich dieser Kampfesweise den Vorzug gegenüber dem Draufgängertum, wie wir es lieben. Und auch Hunger und Durst, Kälte und Hitze können sie nicht ertragen wie wir. Vielmehr brauchen sie Schatten und Obdach, geknetetes Brot, Wein und Olivenöl, und wenn eins davon fehlt, sind sie des Todes. Uns Britanniern hingegen dient jedes Gras und jede Wurzel als Brot, jeder Pflanzensaft als Olivenöl, jedes Wasser als Wein, jeder Baum als Wohnstätte. Wir durchschwimmen die Flüsse nackt, die die Römer nicht einmal zu Schiff leicht überqueren!
    So wollen wir gegen sie ins Feld ziehen und kühn auf unser gutes Glück vertrauen! So wollen wir ihnen beweisen, dass sie als Hasen und Füchse, die sie doch nur sind, sich erdreisten, über Hunde und Wölfe herrschen zu wollen!« 3
    Die Königin hob ihr Schwert, wendete ihr Pferd und im selben Augenblick stürmten die Britannier voran.
    Filine, Rufus und No sahen die Kelten wie eine farbenprächtige Woge im Sonnenuntergang auf die römischen Legionäre zulaufen, die vollkommen ruhig standen und den Angriff mit erhobenen Lanzen erwarteten. Auf der Anhöhe hinter ihnen verzog Suetonius Paulinus die Lippen zu einem schmalen Lächeln …
    Im nächsten Moment verdunkelte sich das Bild. Ein schwarzer Schleier fuhr über eine Ecke des Waldes und breitete sich von dort weiter aus.
    »Was ist das?«, rief No. »Wir verlieren die Flut!«
    »Nein«, sagte Rufus. »Die Britannier verlieren die Schlacht. Es ist die Trauer, die wir sehen.«
    Wie erstarrt blickten die Lehrlinge auf Aili und Brae, die mit Tyrai in den Wäldern am Rand des Schlachtfeldes Zuflucht suchten.
    Sie sahen die Britannier anstürmen, und wie sie sich in den Keilen der römischen Legionäre, die sich jetzt aus der langen Reihe hervorschoben, verloren. Sie sahen die Legionäre ihre Speere schleudern und zwischen den rechteckigen Schilden ihre Schwerter hervorstoßen.
    Sie sahen, wie die Männer und Frauen der Kelten von der voranrückenden römischen Armee verschlungen wurden.
    Dann zog sich die Flut zurück.
    Es wurde endgültig dunkel und schwarz.
     
    Die drei Lehrlinge standen im Gewölbe der Akademie neben der großen, mit der Öffnung nach oben gerichteten Glocke.
    »Die Kelten!«, murmelte No. »Sie wollten nur ihre Freiheit.«
    »Aber vielleicht haben sie in dieser Schlacht verloren und doch gewonnen«, sagte Filine leise. »Denk an die Weissagung des Druiden, dass London eines Tages die Hauptstadt werden würde. Und London ist die Hauptstadt Britanniens geworden. Und die Briten haben eine Königin.«
    »Ja«, sagte No. »Aber was wurde aus Königin Boudicca und ihren Töchtern?«
    Doch die Flut kehrte nicht zurück, und im Gewölbe blieb es totenstill.
    No schluckte.
    Dann sagte er plötzlich: »Wisst ihr was? Ich habe die ganze Zeit gar nicht mehr an mein Fragment gedacht, nur noch an die Menschen da.«
    Er nestelte an seinem Beutel und holte das kleine Stück Holz heraus. Er betrachtete es eine Weile, dann sah er seine Freunde an.
    »Ist die Flut jetzt gescheitert? Ich meine, ich habe keine Ahnung, wonach wir noch suchen sollen. Da war so viel aus Holz, aber wir haben nichts gesehen, was aus Holz gemacht wurde. Wir haben keine Geburtsstunde eines Artefakts erlebt. Keinen Speer, keinen Holzgriff, nichts Geschnitztes oder Gezimmertes. Und schon gar nicht aus Stechpalme. Weder in deinen Träumen noch in der normalen Flut. Ich habe nicht das Gefühl, dem Artefakt richtig auf die Spur gekommen zu sein. Oder habt ihr eine Idee?«
    Filine biss sich auf die Lippen. »Es gab keinen besonderen Speer in der Geschichte«, meinte sie.
    »Der Druide«, sagte Rufus, »hat dir gesagt, es gehe um Sterben und Leben bei deinem Holz.«
    »Ja, aber was hat er damit gemeint? Leben und Tod, das klang doch ganz nach

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