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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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reden, muss ich die achte Lehre des Papyrus Insinger vorausschicken, die da heißt: ›Die Anweisung, nicht gierig zu sein, damit du dich nicht der Armut gesellen musst. Denn Gott ist es, der den Wohlstand schenkt, aber es ist der Weise, der ihn bewahrt.‹«
    Ok-Hee Ju lachte auf. »Ägyptische Handelslehre 300 vor Christus?! Darf ich das mit einem koreanischen Lehrsatz beantworten?«
    Filine nickte.
    »Nun ja«, die Händlerin kicherte: »Auch Affen fallen aus den Bäumen!«
    Filine verzog den Mund zu einem breiten Grinsen. »In der Tat, und Irren ist menschlich! Wäre es Ihnen recht, wenn wir uns zum weiteren Verhandeln zurückziehen? Ich weiß natürlich um den äußeren Wert dieser Truhe, aber ich wollte Ihnen zuerst noch etwas über ihren inneren Wert sagen.«
    Ok-Hee Ju machte große Augen, was ihrem gewitzten Gesicht mit den asiatischen Zügen einen ganz besonderen Ausdruck verlieh. »Einverstanden«, stimmte sie dann zu. »Setzen wir uns dahinten an einen Tisch!«
    Filine lächelte, und die beiden entfernten sich.
    »Tja, Lehrling No, und wir? Fangen wir auch erst mit dem höflichen Austausch von Sprichwörtern an oder reden wir gleich vom Geld?« Hadschi Ben Sadek Abul Abbas Ibn Hadschi Titus della Bastion en Maroque beugte sich zu No, der inzwischen aus dem Bett gekrochen war und ein Stück Maisfladen vom Vortag aß.
    »Nee, erst mal was essen«, brummte der Lehrling. »Meine Oma sagt immer, über Geld spricht man nicht. Aber in Wahrheit haben wir viel darüber gesprochen. Ich habe ihr nämlich den Haushalt geführt und bin für sie einkaufen gegangen. Preise vergleichen ist das Langweiligste, was es gibt. Aber sie hatte eben nicht viel Geld, da war das nötig. Wollen Sie nicht auch was essen? Das ist Maisfladen von Meister Spitznagel!«
    Der Händler leckte sich die Lippen. »Sehr gerne!« Er nahm sich einen Fladen und biss hinein.
    »Mein Artefakt ist übrigens da in der Kiste«, schmatzte No.
    »Und was ist es?« Hadschi Ben Sadek Abul Abbas Ibn Hadschi Titus della Bastion en Maroque kaute nicht weniger zufrieden als No.
    »Ein goldener Zopfhalter, absolut einmalig, in keinem Museum der Welt zu finden. Das Einzige, was ihm nahekommt, ist die Sammlung etruskischen Goldschmucks, die der Louvre in Paris 1863 gekauft hat.«
    »Du kennst die Sammlung des Marquis de Campana?«
    »Ja!« No biss wieder in seinen Fladen. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Preise vergleichen ist echt meine Spezialität. Gut, der Fladen, oder?«
    Der Händler nickte.
    »Ja«, meinte No. »Und nach allem, was die Sammlung den Louvre damals gekostet hat, muss das Ding hier heute ungefähr so viel bringen wie eine Ladung bester Lebensmittel aus geheimen Klostergärten.«
    Hadschi Ben Sadek pfiff durch die Zähne und spuckte dabei ein paar Maisfladenkrümel auf den Boden.
    »Wollen wir wirklich um Nahrungsmittel verhandeln?«
    »Na ja«, meinte No. »Meister Spitznagel wird froh sein, wenn er ein paar neue Spezialitäten bekommen kann. Ihr Händler zieht doch durch die ganze Welt, wie Direktor Saurini gesagt hat. Und ich kann mir schon vorstellen, dass es bei Ablieferung der Ware ein Extraessen für Sie geben könnte, das aus den Spezialitäten zubereitet wird.«
    Hadschi Ben Sadek Abul Abbas Ibn Hadschi Titus della Bastion en Maroque seufzte sehnsüchtig und nahm sich noch ein Stück Maisfladen. Aber No unterbrach ihn, indem er zu der Kiste ging. »Hier.« Er öffnete sie und zog seinen etruskischen Zopfhalter hervor. »Das ist er. Wie viele Kräuterbündel wollen wir dafür ansetzen?«
    Der Hadschi verzog etwas missbilligend den Mund. »Ich bin es eigentlich gewohnt, in harter Münze zu sprechen. Und du hättest natürlich freie Wahl, ob wir in Dinar, Pfund, Dollar, Euro, Yen, Yuan, Krone oder Franken, Won, Dirham, Fils, Rubel, Pa’anga, Rupien, Real oder Zloty verhandeln.«
    Der Hadschi grinste No an.
    No verkniff sich ein Lachen und schüttelte dann den Kopf. »Wir können statt mit Kräuterbündeln auch mit Linsen oder Mehl handeln, aber Geld ist nicht so mein Ding.«
    »Na schön«, willigte der Hadschi ein. »Wenn du es unbedingt so haben willst. Ziehen auch wir uns zum Verhandeln zurück. Aber bist du sicher, dass dein Artefakt ein Zopfhalter und kein Eierbecher ist? Ein Eierbecher wäre ja doch etwas gewöhnlicher als ein Zopfhalter und sicher weniger Linsen wert?!«
    »Ein Eierbecher wäre sehr viel mehr wert«, entgegnete No, »wenn man Eier von richtig gesunden Hühnern hat. Aber es ist leider der Zopfhalter eines etruskischen

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