Die Stunde des Raben
nicht angreifen. Er wartet darauf, dass wir losschlagen. Dann werden sie sich in Keilformationen voranschieben, unsere Schilde unbrauchbar machen und hinter ihren eigenen Schilden hervor mit den Schwertern auf unsere Krieger einstechen, ohne selbst Angst haben zu müssen, verwundet zu werden. So werden sie, ohne dass ein Mann von der Seite des anderen weicht, vorrücken und die unsrigen als eiserne Masse überrollen. Sieh die Wagen hinter unserem Heer, Mutter. Sie bilden einen Wall und schneiden uns den Rückweg ab. Wir sind kaum durch sie hindurch zu dir gelangt. Erkennst du die Falle? Der Druide warnt dich: Wer in dieser Schlacht angreift, der hat verloren.«
Boudicca musterte das Schlachtfeld und die Aufstellungen der Heere. Sie wurde bleich.
»Das hat der Druide gesagt?«
»Ja, Mutter.«
»Es ist wahr!«
Die Königin holte Luft. Sie wandte sich ihren Männern und Kriegerinnen zu.
»Krieger Britanniens!«, erhob sie ihre Stimme »Bydegg!«, schallte es aus Tausenden von Kehlen zurück.
Doch im selben Moment ertönten die Signalhörner der Römer. Dann trat ein Legionär aus der vordersten Reihe vor: »Sind die Britannier zu feige, die letzten zwei Legionen des römischen Heers anzugreifen? Können sie nur im Hinterhalt lauern? Suetonius Paulinus lässt euch sagen, dass ihr Abschaum und feige Hunde seid. Die Kelten nennen sich gerne Wölfe, aber sie sind nur Ratten und Schmeißfliegen.«
Unter den keltischen Kriegern erhob sich Geschrei.
»Männer und Kriegerinnen!« Boudicca sprengte auf ihrem Pferd vor. »Paulinus will uns nur provozieren. Er hat eine neue Taktik gewählt und will uns in eine Falle locken!«
Doch wieder wurde ihren Worte von den römischen Hörnern überschallt:
»Ihr kniet schon jetzt vor mir, Britannier!« Suetonius Paulinus stand mit seinem mächtigen roten Helmbusch hinter seinen Legionären.
»Ihr bewegt euch nicht, denn ihr wisst, dass ich euer Herr bin und Roms Cäsar euer Kaiser. Ihr seid nichts als Sklaven, die den Aufstand proben. Ihr folgt einer schwachen Frau, die in Rom noch nicht einmal das Recht hätte, mich zu bekochen. Diese Frau werde ich auspeitschen lassen. Sie ist keine Königin, sie ist eine Sklavin. Niemals, darauf habt ihr das Wort Cäsars, wird eine Frau Britannien regieren. Königinnen sind von der Natur nicht vorgesehen!«
»Bydegg!«, riefen die Kelten. »Geh voran, und wir folgen dir! So darf kein Römer dich beleidigen!«
Dabei wogte die Menge auf, und es sah aus, als würden die Kelten jede Sekunde losstürmen.
»Krieger!« Boudicca hob ihre Arme und hielt die Menge mit ihren Worten noch einmal zurück. »Hört nicht auf sie. Es sind Lügner und Feiglinge. Sie wissen, dass sie diese Schlacht verlieren werden, wenn sie sich als Erste von der Stelle rühren. Bleiben wir ruhig und hier auf unserer Seite des Schlachtfeldes. Warten wir, bis sie sich bewegen, und der Sieg wird unser sein!«
Die Menge der keltischen Krieger wogte vor und zurück, als bräche sich eine Welle an einem Felsen. Und dieser Felsen war Königin Boudicca.
Rufus, Filine und No konnten sehen, wie der römische Feldherr sich unwirsch umwandte und dreien seiner Soldaten etwas zurief.
Im nächsten Moment traten die Soldaten vor.
»Eure Sklavenkönigin hat sich mir als Weib versprochen. Sie wird für mich kochen und meine Wäsche waschen!«, brüllte der Erste.
Dann schrie der Zweite: »Sie hat lange rote Haare. Sie ist eine Hexe, ein Lügenweib, das euch Männer von der Schlacht zurückhält, auf die ihr brennt. Hört auf sie, und ihr werdet nie wieder kämpfen und nur noch tun, was Weiber wollen.«
Nun war der Dritte an der Reihe: »Aus ihr spricht die Angst vor der Niederlage! Und ihr wollt Krieger sein?«
»Lügner!«, brüllte ein keltischer Krieger zurück und hob sein Schwert.
»Ihr habt unser Land besetzt! Ihr spielt euch auf wie die Herren, aber ihr seid nur Eindringlinge!«, schrie ein Zweiter und schlug dazu auf seinen Schild.
Und ein dritter streckte seine Lanze in die Höhe und rief: »Königin Bydegg! Führe uns an!«
Jetzt war die Menge in wildem Aufruhr. Einzelne Krieger stießen fast gegen Boudiccas Pferd, sodass es unruhig zu tänzeln begann.
Hastig wandte sich die Königin ihren Töchtern zu.
»Aili und Brae, zieht euch zurück. Ich kann das Heer nicht mehr halten! Ich habe es versucht, aber jetzt muss ich mit den Kriegern kämpfen. Wisst, meine Töchter, dass ich immer bei euch bin.«
Sie wandte das Pferd und galoppierte vor die erste Reihe ihrer Krieger:
Weitere Kostenlose Bücher