Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
Hütte erreichen, zwei Stunden Fahrt von hier.
Tretjak ließ sich Zeit damit, seine Hunde anzuleinen und die Plane von seinem Schlitten aufzuschnüren. Er spürte große Nervosität. Die Tavor-Tabletten fielen ihm ein. Wie ein Echo aus einer anderen Zeit. Schließlich stapfte er im tiefen Schnee auf die Hütte zu, riss die Holztür auf und betrat den hellen, warmen Raum, in der einen Hand den Sack mit Proviant, in der anderen den Schlafsack.
Der Mann, der vor dem Kamin saß, trug ein rot-schwarz kariertes Hemd und wandte Tretjak den Rücken zu. Als er sich umwandte, lächelte er.
Gabriel Tretjak hatte seinen Bruder viele Jahre nicht gesehen und wusste nicht, was die Zeit mit seinem Gesicht angestellt hatte. Aber als er dieses Lächeln sah, wusste er ganz sicher, dass dieser Mann nicht Luca war.
Tretjak reagierte sehr schnell, ließ sofort die beiden Gegenstände aus der Hand fallen, bemaß die Entfernung zu dem Mann, sah die Pistole, bewegte sich nach vorn. Aber es war das Lächeln, das ihm gleich signalisiert hatte, dass er nicht schnell genug sein würde.
Dienstag, 5. Dezember
(t 0 plus 4)
Aus dem Polizeibereicht der Kriminalpolizei Sundsvall:
Zwei Tage nach Auffinden der schwerverletzten Person Gabriel Tretjak in der Hemland-Hütte wurde auf einem Hundeschlittentrail etwa fünf Kilometer von der Hütte entfernt die Leiche einer männlichen Person gefunden. Es handelt sich dabei um Johann Andersson, 41, Bauarbeiter aus Stockholm, vorbestraft wegen Körperverletzung, vormals unter Beobachtung des Verfassungsschutzes wegen Zugehörigkeit zu rechtsradikalen Gruppierungen.
Die Todesursache ist Erfrieren. Die Leiche weist zusätzlich eine Schussverletzung im Leistenbereich mit großem Blutverlust sowie Blutergüsse an mehreren Körperstellen auf. Sichergestellt wurde eine Waffe, eine Pistole des Typs Mauser, Kaliber 7.65. Unzweifelhaft handelt es sich um die Waffe, aus der die Schüsse in der Hemland-Hütte auf die Person Gabriel Tretjak abgegeben wurden sowie der Schuss, der Andersson selbst traf.
Bei der Durchsuchung der Wohnung Johann Anderssons in Stockholm wurde ein Laptop sichergestellt, auf dem eine E-Mail-Verbindung zu Christian Senne nachgewiesen werden konnte. Da im Zusammenhang mit dieser Person eine europaweite Fahndung lief, wurden sämtliche Ermittlungsergebnisse sofort nach München, Kommissariat 2, Kriminalhauptkommissar Günther Bendlin übermittelt.
Epilog
Das Unfallkrankenhaus von Sundvall im Norden Schwedens war offenbar gut gerüstet für Katastrophen jeder Art. In diesen Tagen kämpften die Ärzte auf der Intensivstation um das Leben dreier Menschen. Bei zweien von ihnen waren sie inzwischen optimistisch. Die eine war eine Frau, die im Eis eingebrochen war, auf einem zugefrorenen Fluss. Mit Herzstillstand und schwersten Erfrierungen war sie in die Klinik gekommen, inzwischen schien klar zu sein: Sie würde mehrere Zehen verlieren, aber sie würde leben. Der andere Schwerkranke hatte einen Autounfall gehabt, doppelter Schädelbruch, sein Zustand verbesserte sich von Tag zu Tag. Luca Tretjak erfuhr das, während er im Pflegerzimmer wartete und sich den grünen Schutzkittel überzog. Er nahm die kleinste Größe, aber der Kittel war noch viel zu groß. Er sah sein Spiegelbild in den Glasscheiben, aber nur kurz, dann blickte er weg.
Der dritte Patient machte den Ärzten nach wie vor Sorgen. Der Deutsche mit dem slawisch klingenden Namen. Gabriel Tretjak hatte ebenfalls schwere Erfrierungen, aber schlimmer waren die Schussverletzungen. Er war dazu in schlechter Gesamtverfassung, wirkte schwach, als hätte er vor einiger Zeit eine schwerere Krankheit überstanden. Sie hatten ihn in ein künstliches Koma versetzt. Vor zwei Nächten hatte es ausgesehen, als würde er sterben, er hatte eine Art Kreislaufkollaps erlitten. Sein Herz hatte für einen Moment nicht mehr gewollt. Doch dann hatte es wieder angepackt. »Seine Überlebenschancen liegen bei 50 Prozent, höchstens«, hatte der diensthabende Arzt bei der morgendlichen Lagebesprechung gesagt.
Fünfzig Prozent. Immerhin.
Die Intensivstation ist ein besonderer Ort, der alles auf ein Entweder-oder reduziert, dachte Luca Tretjak. Man lebt, oder man stirbt. Angehörige bangen, oder sie bangen nicht. Freunde sind ehrlich oder falsch. Man spricht, oder man schweigt. Ärzte gewinnen ihren Kampf, oder sie verlieren ihn. Früher waren Intensivstationen abgeschlossene Orte, niemand sollte die Arbeit der Ärzte stören. Bei Gabriels Mutter war das
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