Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
noch so gewesen, Gabriel hatte sie nicht besuchen dürfen, als sie eine Hirnblutung gehabt hatte. Inzwischen hatten sich die Mediziner von dieser Idee verabschiedet. Es hatte sich herausgestellt, dass Besuche von Nahestehenden den Patienten guttaten. Oft verbesserten sich ihre Werte während deren Anwesenheit. Auch Menschen ohne Bewusstsein, im Koma, bekamen sehr wohl mit, wer da vor ihrem Bett stand.
Der Besucher, der an diesem Morgen am Bett 05 saß, als Luca Tretjak kam, war Joseph Lichtinger. Gabriels alter Weggefährte, sein Freund, dachte Luca Tretjak, als er ihn dort sitzen sah. Aber er dachte auch: Immer noch Freund, wirklicher Freund? Von Lichtinger hatte Senne die Informationen über Gabriel bekommen, von ihm hatte Senne auch die Informationen über ihn, den Bruder, bekommen.
In der Intensivstation der Unfallklinik Sundvall waren die Wände ab einer Höhe von einem Meter über dem Boden aus Glas. Türen gab es keine. Ärzte und Pfleger konnten von überall die Kurven und Leuchten der Messgeräte sehen. Luca Tretjak wartete stehend an der Schwelle zum Bereich des Bettes 05, neben einem Regal mit Flaschen. Er sah Gabriels Bett, das weiße Kopfkissen, den weißen Bettbezug. Er sah die Schläuche, die piepsenden Maschinen, er hörte das Schnaufen der künstlichen Beatmung. Es brauchte Phantasie, sich vorzustellen, dass der Mensch, von dem nur ein Haarschopf zu sehen war, einen hörte. Lichtinger hatte offenbar diese Phantasie. Er sprach. Betete er für Gabriel? Als er sich einmal umdrehte, begegneten sich ihre Blicke, und Lichtinger stand auf.
»Gabriel, du musst wieder gesund werden. Verstehst du mich? Ich bin in großer Not, ich brauche dich«, hörte Luca Tretjak ihn sagen. Dann standen sie sich kurz gegenüber. »Nur er kann mir helfen«, war alles, was Lichtinger sagte. Und Luca Tretjak war mit seinem Bruder allein.
In seinem Namen war Gabriel in die Falle gegangen, sein Name war benutzt worden, um ihn zu vernichten. Sophia Welterlin hatte ihm die Geschichte auf den Anrufbeantworter gesprochen. Senne hatte es vor seinem Tod eingefädelt, den Brief geschrieben, den Mörder bestellt. Und er hatte auch schon vorher Lucas Telefonnummer in seine wahnsinnige Aufführung eingebaut.
Sophia. Großartige Sophia. Luca Tretjak würde nicht so weit gehen, dass er ihr vertraute, aber lieben, ja, das ohne Zweifel, immer noch, immer wieder. Aber nach Sundvall war er nicht wegen ihr gekommen. Nein. Das hätte keinen Sinn ergeben.
Luca Tretjak stand am Bett seines Bruders und nahm seine Hand, drückte sie ganz fest, lange, sehr lange. Am Ende waren es Stunden. Er wollte etwas von seiner Kraft an den Bruder abgeben, und er wusste, es war nicht wenig, was er da zu geben hatte. Er wollte nicht, dass sein Bruder jetzt starb. So sollte ihre Geschichte nicht enden. So nicht.
Über Max Landorff
Max Landorff ist ein Pseudonym. Sein Debüt-Thriller ›Der Regler‹ ist ein Top-Bestseller und wird in mehrere Sprachen übersetzt.
Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de
Impressum
Covergestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Covergestaltung und -abbildung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, Dominic Wilhelm, unter Verwendung eines Motivs von © Michael Trevillion/Trevillion Images
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
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ISBN 978-3-10-401403-6
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