Die Stunde des Schakals (German Edition)
geradewegs aus der Unterwelt zu stammen schien. Ein dünner Blutfaden rann aus dem Mundwinkel. Die Frau ließ den Jungen los, rutschte auf den Knien nach vorn und wischte das Blut vorsichtig, fast zärtlich mit einem Lappen ab. Dann glitt sie in dieselbe hockende Position zurück, die sie vorher eingenommen hatte. Clemencia setzte sich auf den leeren Stuhl, beugte sich vor und fragte: «Lucas Elago, wo ist Oshivelos Frau?»
Die Lippen des Mannes standen einen Spalt offen. Er atmete schnell und flach.
«Die Frau, die Sie entführt haben», sagte Clemencia. «Wo ist sie?»
Elago öffnete langsam die Augen. Sie waren dunkelbraun und das Weiß blutunterlaufen. Clemencia dachte, dass er wissen müsste, wer sie war. Nicht nur, weil er ihre Stimme am Telefon gehört hatte, sondern auch sonst. Nach all den Tagen und Nächten, die sie hinter ihm her gewesen war, in denen sie versucht hatte, seine Bewegungen vorherzusehen, sich in sein Denken und Fühlen hineinzuversetzen. Aber sein Blick blieb fremd. Nichts deutete darauf hin, dass er etwas mit ihr verband.
«Was haben Sie mit der Frau gemacht?», fragte Clemencia. Sie berührte ihn an der Schulter. Er durfte noch nicht sterben. Nicht, bevor er ein paar Fragen beantwortet hatte. Clemencia sagte: «Bitte!»
Lucas Elago starb noch nicht. Er begann sogar zu sprechen, leise, fast tonlos, aber mit hastig hervorgepressten Worten, zwischen denen er qualvoll nach Luft rang. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er gesagt hatte, was er sagen wollte. Dass er van Zyl erschossen habe. Und Chappies Maree. Dass er die Frau des Zellengenossen von Barnard unter Druck gesetzt habe. Dann habe er Staal Burger umgelegt. Und Acheson ebenfalls. Sie seien Rassisten und Mörder gewesen, alle fünf. Sie hätten bekommen, was sie längst verdient hätten. Er habe nur das Urteil vollstreckt, das die Geschichte gesprochen habe. Warum gerade er? Er habe schon als Sechzehnjähriger für die Freiheit gekämpft. Das habe er nicht vergessen, selbst wenn er danach sein Leben vergeudet habe. Ruiniert. Und nicht nur sein eigenes. Als er erfahren habe, dass es mit ihm zu Ende gehen würde, habe er die Gelegenheit gesehen, etwas gutzumachen. Und das habe er auch getan, denn der Tod sei die Wahrheit und nichts sonst.
« Er hat Sie beauftragt, nicht wahr?» Clemencia deutete mit dem Daumen auf den Ex-Richter schräg hinter ihr.
«Nein», stöhnte Elago.
«Woher wussten Sie über den Lubowski-Fall Bescheid? Über die CCB-Agenten? Wer hat Ihnen gesagt, wo sie aufzufinden sind? Wer hat Ihnen das Geld für eine Kalaschnikow gegeben? Und für eine Reise nach Südafrika?», fragte Clemencia.
«Es war meine Entscheidung», murmelte Elago, «ganz allein meine Entscheidung.»
«Herrgott!», sagte Clemencia. «Sie brauchen doch jetzt nicht mehr zu lügen!»
Schon bevor sich Elagos Augen wieder schlossen, wurde sein Blick leer, verlor sich irgendwo in fernen Erinnerungen. Sei es an das Elend, das er erfahren, sei es an die Morde, die er verübt hatte.
«Der Tod ist die Wahrheit», wiederholte Clemencia, «und Sie sterben!»
Elago reagierte nicht. Vielleicht starb er gerade. Vielleicht würde er noch einmal zurückkommen.
«Und was, verflucht nochmal, haben Sie mit Oshivelos Frau gemacht?», brüllte Clemencia.
«Lassen Sie ihn in Ruhe!», sagte Fourie. «Sie sehen doch, wie es mit ihm bestellt ist.»
Ja, das sah Clemencia. Und sie sah auch, dass er für Fourie seine Schuldigkeit getan hatte. Der Killer hatte ihn von jeder Verantwortung für die fünf Morde reingewaschen. Jetzt durfte er sterben. Clemencia zischte: «So kommen Sie nicht durch, Fourie. Ich kriege Sie dran.»
«Sie haben sich schon einmal übernommen», sagte Fourie ruhig.
Clemencia würde Fouries Konten überprüfen und erkennen, welchen Betrag er dem Killer zur Verfügung gestellt hatte. Sie würde Zeugen dafür finden, dass die beiden schon lange miteinander in Kontakt standen. Sie würde Fouries privates Lubowski-Archiv beschlagnahmen, sie würde darin Hinweise finden, die die Vorgehensweise des Killers erklärten, sie würde … Nein, sie brauchte sich nichts vorzumachen. Es würde niemals reichen, um Fourie zu überführen. Nicht einmal, um Anklage zu erheben. Genau wie damals bei Donald Acheson. Selbst wenn Clemencia fälschlicherweise behauptete, Elago habe mit seinen letzten Worten Fourie als Auftraggeber bezeichnet, würde es nicht reichen. Dann stand ihre Aussage gegen die von Fourie und seiner Haushälterin. Solange man nicht
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