Die Stunde des Schakals (German Edition)
wenigstens plausibel machen konnte, wieso ein Sterbender für jemand anderen mordete, bestand keine Chance.
Clemencia blickte auf Elagos eingefallenes Gesicht hinab. Noch atmete er schwach. Trotz allem, was er getan hatte, fiel es ihr schwer, Abscheu zu empfinden. Es schien fast, als lösche sein Sterben aus, was er im Leben verbrochen hatte. Der Tod ist die Wahrheit, hatte Elago hervorgepresst, und für einen Moment zog Clemencia in Erwägung, sich umzudrehen, ihre Pistole zu ziehen und sie Fourie an die Schläfe zu halten. Die Wahrheit oder den Tod! Doch selbst das würde nicht reichen. Fourie würde grinsen. Er würde wissen, dass sie nicht schießen könnte.
Fouries Haushälterin und die Kinder saßen völlig unbeweglich auf dem Fußboden. Eine Gruppe wie aus Stein gemeißelt. Es wirkte nicht so, als würden sie auf Elagos Tod oder auf eine wundersame Genesung oder auf irgendein anderes Ereignis warten. In den Gesichtern war kein Hoffen, kein Bangen erkennbar, da war gar nichts außer steingewordene Schicksalsergebenheit, und das Schicksal verlangte eben, dass sie stumm und unbeweglich auf dem Boden saßen. Man hätte glauben können, die Zeit stehe still, wenn nicht die Uhr in der Zimmerecke überlaut getickt hätte. Es war eine altertümliche Wanduhr mit seltsam verschnörkelten Ziffern, die zu jeder Viertelstunde lang anhaltend schlug.
Und sonst nichts, kein Wort, kein Geräusch, kein Laut, nur das stoßweise Atmen Elagos und manchmal ein Röcheln, ein Husten, das Clemencia denken ließ, dass es nun so weit sei. Aber es war noch nicht so weit. Also würde sie nicht gehen. Keinen Zentimeter würde sie sich wegbewegen, solange es möglich erschien, dass Elago noch einmal zu sprechen begann. Oder bis sicher war, dass er das nie mehr tun würde.
Als die Uhr halb zwölf schlug, setzte erneut prasselnder Regen ein. Um 1 Uhr 15 war er vorüber, und dann war da wieder das Ticken und das Atmen und die Schläge zu jeder Viertelstunde und manchmal ein Röcheln, bei dem man meinte, genau dieses müsse das letzte sein. Um 2 Uhr 40 schlug Elago die Augen auf. Langsam wandte er den Kopf, seine Lippen versuchten ein Wort zu formen, doch er fand nicht mehr die Kraft, einen Ton hervorzubringen.
«Wasser!», sagte Clemencia. «Gebt ihm um Gottes willen einen Schluck Wasser!»
Elago verzog das Gesicht. Ob aus Schmerz oder als Zeichen der Ablehnung, war schwer zu deuten. Noch einmal versuchte er zu sprechen, es ging nicht. Er sah an Clemencia vorbei und ruckte mit dem Kinn zweimal nach oben.
«Nangolo, Taleni, er will, dass ihr zu ihm kommt», sagte Fourie von hinten.
Der Junge schüttelte den Kopf und klammerte sich fester an seine Mutter. Das Mädchen war eingeschlafen.
«Los, geht schon!», befahl Fourie.
Die Mutter rüttelte das Mädchen, bis es wach war, und schob beide Kinder nach vorn an die Bettkante. Fourie trat hinter sie, beugte sich über ihre Köpfe hinweg, schlug die Wolldecke zurück. Dann nahm er den rechten Arm Elagos und legte dessen Handfläche auf den Kopf des Jungen. Der Junge starrte geradeaus. Da war nichts, nur nackte Wand, auf der die Blutspuren erschlagener Moskitos prangten. Elago zog eine Grimasse, die vielleicht ein Lächeln darstellen sollte.
«Ich verspreche dir, dass ich mich um die Kinder kümmern werde, als wäre ich ihr leiblicher Vater», sagte Fourie. Er legte nun Elagos Hand auf den Scheitel des Mädchens. «Ich werde sie auf die besten Schulen schicken, ich werde ihnen eine Ausbildung bezahlen und, falls sie wollen, auch ein Studium. Und wenn ich sterbe, werden sie die Farm erben.»
Elagos kraftlose Hand rutschte über die Stirn des Mädchens herab. Fourie fing sie auf, drückte sie mit dem zweimaligen Umgreifen, das zum Begrüßungsritual der Schwarzen gehört. Zum Abschiednehmen auch, dachte Clemencia, und Fourie sagte noch: «Bei allem, was mir heilig ist!»
Das ist also der Deal, dachte Clemencia, während das Mädchen in die Arme seiner Mutter zurückflüchtete und der Junge weiterhin starr vor dem Bett stand und Fourie den Arm Elagos neben dessen Körper bettete, bevor er die Wolldecke darüberschlug. Das war also der Deal! Der Tod von fünf rassistischen Mördern gegen die Zukunft von zwei Kindern. Elago hatte nicht in allem die Unwahrheit gesagt. Er hatte tatsächlich etwas gutmachen wollen. Nur war es ihm keineswegs um Rache, Politik oder historische Gerechtigkeit gegangen, sondern um diese beiden Kinder, die ihn kaum gekannt hatten. Vielleicht, weil er sie zwar
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