Die Stunde des Schakals (German Edition)
gezeugt, sich dann aber nicht mehr um sie gekümmert hatte. Bis zu dem Moment, als er erfahren hatte, dass er bald sterben würde. Da waren sie ihm anscheinend plötzlich wichtig geworden.
Elagos Kopf sank zur Seite, die Uhr tickte, die Augen schlossen sich. Elago war am Ende, er hatte Abschied genommen. Was hielt ihn jetzt noch? Er würde nichts mehr sagen, keine Lügen, keine Wahrheiten, und wahrscheinlich würde er nicht einmal mehr erwachen. Clemencia hatte keinen Grund, länger an seinem Bett sitzen zu bleiben. Sie sollte nach Oshivelos Frau suchen! Vielleicht fand sich im Wagen ein Hinweis auf ihren Verbleib. Clemencia musterte den Sterbenden vor sich. Man glaubte die Wangenknochen durch die dünne schwarze Haut schimmern zu sehen. Die Lippen hatten nun jede Farbe verloren, aber noch immer atmete er, schnell, stoßweise. Warum hörte er nicht einfach auf? Es war genug. Es sollte jetzt Schluss sein!
Clemencia hielt es nicht mehr aus, doch es gelang ihr nicht rauszugehen. Nicht einmal den Blick vermochte sie von Elago zu wenden, auch wenn ihr das fast körperlichen Schmerz bereitete. Oder eher Unbehagen, das sich allmählich in Wut verwandelte? Sie suchte nach einem Schuldigen. Die Morde dieses Menschen wurden nicht dadurch getilgt, dass er nun selbst starb. Alle starben, das war kein Verdienst, es war höchstens ein Grund, schweigend dabeizusitzen.
Trotzdem, Lucas Elago war willens gewesen, einmal im Leben etwas richtig zu machen. Es war Fourie, der das schamlos ausgenutzt hatte! Für seine Zwecke. Oder besser, für das, was er sich als Lebenszweck gewählt hatte. Nämlich die Verantwortlichen für ein zwanzig Jahre zurückliegendes Verbrechen endlich zur Rechenschaft zu ziehen. Es blieb Selbstjustiz, es blieb Unrecht, aber auch Fourie konnte man nicht vorwerfen, aus egoistischen oder gar niederen Motiven heraus gehandelt zu haben.
Und wieso hatte Elago keine andere Möglichkeit gesehen, die Zukunft seiner Kinder zu sichern? Was war das für eine Gesellschaft, in der ein Vater glaubte, deshalb morden zu müssen? Für das Selbstverständlichste, das man sich denken konnte? Neunzehn Jahre nachdem Freiheit und Gleichberechtigung erkämpft worden waren! Was Anton Lubowski wohl dazu gesagt hätte, wenn er noch am Leben wäre?
Die Wanduhr schlug jede Viertelstunde, und Elago atmete und starb langsam weiter und war immer noch nicht fertig, als das Grau der Morgendämmerung durch das Fenster hereinschlich. Draußen zwitscherten die Glanzstare, in den Bäumen am Farmhaus drüben fingen sich ein paar Sonnenstrahlen, die ihren Weg zwischen den zerrissenen Wolken hindurch gefunden hatten, und um 8 Uhr 10 klingelte Clemencias Handy. Sie ging vor die Tür. Es war Melvin. Seine Kumpel und er hätten gestern wegen des Wolkenbruchs ein wenig früher Schluss machen müssen, hätten aber die Baugrube ordentlich abgedeckt, sodass sie heute früh pünktlich um 7 Uhr wieder ans Werk gehen konnten. Und das habe sich auch gelohnt, denn gerade eben sei etwas passiert, was Clemencia unbedingt wissen müsse.
«Ist Donkerkop aufgetaucht?», fragte Clemencia.
«Das nicht, aber die Polizeieinheiten, die zur Überwachung da waren, sind abgezogen», sagte Melvin. «Und zwar bis auf den letzten Mann. Wir vermuten, dass der Killer durch irgendeine List dafür gesorgt hat, um freien Zugang zu bekommen.»
«Nein, der Killer war das sicher nicht, denn …»
«Lass uns nur machen!», unterbrach Melvin. «Ich muss jetzt aufhören, das Guthaben geht zu Ende. Aber du kannst dich auf uns verlassen.»
«Hör zu, Melvin …», sagte Clemencia, doch er hatte schon unterbrochen. Clemencia überlegte kurz und rief Tjikundu an.
«Wir haben Donkerkop», sagte Tjikundu. «Das heißt, wir haben ihn umstellt. Gerade wird alles doppelt und dreifach abgesichert. Selbst wenn er wollte, würde er nie mehr da rauskommen, aber es sieht ganz so aus, als wolle er das gar nicht.»
«Wo ist er?», fragte Clemencia.
«Heroes’ Acre», sagte Tjikundu, «am Fuß des großen Obelisken. Er muss sich in der Nacht aufs Gelände geschlichen haben, jedenfalls haben ihn die Wachen erst heute Morgen entdeckt. Mit ein paar umgeschnallten Päckchen, die angeblich Sprengstoff enthalten. Auch die Grabdenkmäler unserer Nationalhelden will er vermint haben.»
«Und was fordert er?», fragte Clemencia.
«Tja», sagte Tjikundu, «das habe ich nicht so ganz begriffen. Er will nicht erschossen werden. Kommt dir das logisch vor, dass einer droht, sich in die Luft zu
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