Die Stunde des Schakals (German Edition)
eben mit Gewalt festhalten. Er kniff die Augen zusammen, riss sie auf, um den Schleier, der vor ihnen lag, zu durchdringen. Erst jetzt merkte er, dass Wassertropfen auf der Windschutzscheibe perlten. Es hatte zu regnen begonnen. Er suchte nach dem Schalter für den Scheibenwischer. Auch als er ihn gefunden hatte, sah er nicht klar.
Aber er hörte gut. Fast wie früher. Rhythmisch klopfte der Regen auf die Karosserie. Dann setzte das Geräusch kurz aus und ging schlagartig in ein prasselndes Trommelfeuer über. Die Wischerblätter kämpften sich schwer durch die plötzlichen Wassermassen, schoben Bäche zur Seite, nur um auf dem Rückweg wieder neue vorzufinden. Von einer Sekunde auf die andere war es Nacht geworden, bis ein Blitz um den Wagen herum zerbarst, überall gleichzeitig. Kurz und gespenstisch leuchteten die Dornbüsche auf, farblose, gebeugte Kreaturen, auf die der Regen wild einpeitschte. Der Himmel weinte nicht, er schüttete seinen Zorn über die Erde aus, und der Donner knackte wie Antilopenknochen unter den Bissen eines Löwenrudels, nur länger und lauter, viel lauter. Es war das erste Gewitter der Regenzeit und das letzte in seinem Leben!
Er beugte sich vor und versuchte zu erkennen, wo der Weg verlief.
Seit Clemencia am Krankenhaus losgefahren war, goss es wie aus Kannen. In der Stadt musste sie zwar langsam fahren, kam aber noch gut durch. Die Unterführungen würden erst ein wenig später volllaufen, wenn die Kanalisation von Staub und mitgerissenem Abfall verstopft wäre oder schlicht unter den Wassermassen kapitulierte. Auch auf der asphaltierten B1 Richtung Süden hatte Clemencia keine größeren Probleme, außer dass sie die Abfahrt fast verpasst hätte, weil sie das Hinweisschild zu spät sah.
Danach wurde es schwierig. Es schien, als habe die Hitze der vergangenen Monate die Erdkruste zu einer festen, wasserundurchlässigen Schicht zusammengebacken. Schnell wurden die Lachen auf der Staubpad zu langgestreckten Seen, die der Citi Golf mühsam durchpflügte. Und es regnete immer noch mit unverminderter Heftigkeit. Das Licht der Autoscheinwerfer verlor sich in den fast senkrecht herabstürzenden Strichen. Als Clemencia endlich in die Farmpad einbog, wurde das Gelände hügeliger. Zwar gurgelten kleine Wildbäche die ausgefahrenen Spuren entlang, doch floss hier das Wasser wenigstens ab. Der Weg ging bergauf, bergab, und Clemencia fuhr so schnell wie nur irgend möglich. Sie wusste, dass die Trockenflüsse sich bei einem solchen Gewitter binnen Minuten in reißende Ströme verwandelten. Die ersten Senken konnte Clemencia noch passieren, doch dann war Schluss. Sie bremste vor einem gut fünf Meter breiten Wasserlauf, der den Weg querte, an der Böschung eine gierige Welle aufwarf und nach links ins Dunkel stürzte.
Verdammt, das konnte doch nicht wahr sein! Sie wusste, wie der Killer hieß, sie wusste, dass er bald sterben würde, sie wusste sogar, woran, und vor allem wusste sie so gut wie sicher, wohin er sich geflüchtet hatte, und nun kam sie nicht hin. Weil es regnete! Weil sie eine halbe Stunde zu spät dran war. Weil sie Angula nach Hause gefahren hatte, damit er seitenweise unnütz Papier bekritzeln konnte. Weil Claus Tiedtke der einzige Weiße im Land war, der statt eines ordentlichen Geländewagens nur einen jämmerlichen Citi Golf besaß.
Clemencia griff nach ihrem Handy. Kein Empfang. Dabei hatte sie von der Farm aus doch schon telefoniert. Vielleicht lag es am Gewitter oder an der Senke, in der sie festsaß. Der Rückweg war inzwischen sicher auch unpassierbar. Rechts türmten sich dunkle Felsen, links ging es ein paar Meter steil bergab. Hier konnte Clemencia nicht einmal wenden. Sie setzte den Wagen ein paar Meter zurück, legte den ersten Gang ein und gab Gas. Das Wasser spritzte auf, ein Vorderreifen holperte heftig über einen Stein, sodass Clemencia aus dem Polster gehoben wurde. Sie klammerte sich ans Lenkrad, starrte auf die Bugwelle, die der Golf vor sich herschob, drückte das Pedal mit dem rechten Fuß bis zum Anschlag durch, und dann stand der Wagen. Saß fest, soff ab. Ein Meter, ein lächerlicher Meter fehlte. Der Regen trommelte aufs Autodach, unter dem Bodenblech gluckste das Rivier. Der Fluss würde weiter ansteigen, und bald würde sich der Wagen wieder in Bewegung setzen. Zur Seite hin, auf die Böschung zu. Clemencia musste raus, solange noch Zeit dafür blieb.
Das Wasser war knapp knietief. Clemencia schob sich bis zur Front des Golfs vor, erreichte
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