Die Stunde des Schakals (German Edition)
Polizei konnte eben nicht verwinden, dass sie gescheitert war, und versuchte nun auf diese Weise ihr Glück. Zudem kam mir die Argumentation abenteuerlich, um nicht zu sagen völlig abwegig vor. Immerhin bin ich mein Leben lang Jurist gewesen und habe – mit Verlaub – deutlich mehr Strafprozesse als Sie geführt, Euer Ehren! Also erklärte ich Detective Inspector Garises, dass man Donkerkop wegen Verschwörung zum Mord und wegen Mordversuch auf jeden Fall anklagen könne, unabhängig davon, ob Lubowski bei seinem Schuss schon tot war. Mordversuch wird ja definiert als gescheiterte Handlung, die das Ziel hatte, jemanden zu töten. Alle drei Elemente – Ziel, Handlung und Scheitern – sind hier zweifelsfrei vorhanden. Oder, um es noch einmal ganz klar zu sagen: Grund des Scheiterns kann neben dem vom Täter ungewollten Weiterleben des Opfers auch sein, dass das Opfer aus nicht vom Täter zu verantwortenden Ursachen vorher zu Tode gekommen ist. Das ändert nichts am Tatbestand des Mordversuchs.
Ich erläuterte weiter, dass dieser Tatbestand in unserem Strafrecht zwar nicht explizit von der Verjährung ausgenommen ist, doch nach herrschender Meinung schließt das Verjährungsverbot für Mord automatisch den Mordversuch mit ein.
«Nach herrschender Meinung?» , fragte Frau Garises.
«Man kann nicht in jedem Strafprozess bei Adam und Eva anfangen» , sagte ich. «Wenn Interpretationsbedarf besteht, zieht man Grundsatzurteile und anerkannte Kommentare zurate. Hat sich in der betreffenden Frage ein weitgehender Konsens gebildet, orientiert man sich daran.»
«Und wenn zum Beispiel eine Staatsanwaltschaft oder ein Richter aus den Buchstaben des Gesetzes etwas anderes herauszulesen meinen?» , fragte Frau Garises.
So etwas kommt immer wieder mal vor. Allerdings nicht zu solch einem Zeitpunkt. Ein des Mordes Verdächtiger wurde gerade festgenommen, er ist zum Geständnis bereit. Den vernimmt man doch intensiv, man sammelt Beweise, versucht, die Fakten möglichst vollständig aufzunehmen. Später mögen Zweifel entstehen, doch kein Staatsanwalt der Welt denkt als Erstes darüber nach, ob es Gründe gibt, eine Anklage niederzuschlagen. Es sei denn, man will keinen Prozess!
Ich wurde nachdenklich. Ich erinnerte mich an 1994, als die Staatsanwaltschaft sich ebenfalls weigerte, in der Lubowski-Sache Anklage zu erheben. Würde sich die Geschichte wiederholen? Nach Lage der Dinge schien mir das unmöglich, aber hatte ich das nicht auch damals gedacht? Und jetzt würden die Umstände des Lubowski-Attentats wieder nicht gerichtlich geklärt werden? Weil jemand mit viel Einfluss das unbedingt verhindern wollte?
Das konnte ich nicht zulassen. Nicht nach allem, was ich getan hatte, um endlich der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen, ja, um sie mit allen Mitteln zu erzwingen. Dass es nicht ohne Opfer gehen würde, wusste ich von Anfang an, aber es war viel mehr Blut geflossen, als ich mir gewünscht hätte oder auch nur vorzustellen vermochte. Ich habe van Zyl erschießen lassen, doch Maree wollte nicht reden. Ich habe Maree erschießen lassen, doch Staal Burger zog nicht die richtigen Lehren, und Barnard glaubte nicht, dass ich ihn auch im Gefängnis zur Strecke bringen würde. Als beide tot waren, meinte Acheson immer noch, den schweigsamen Helden spielen zu müssen. Mit Mühe und Not konnte ich Donkerkop, meinen letzten Zeugen, meinen Angeklagten, ohne den mir mein Verfahren wegbrechen würde, retten und zu der Aussagebereitschaft bewegen, die seine Komplizen besser schon früher bewiesen hätten. Und nun sollte alles umsonst gewesen sein?
Ich ließ nichts von alldem verlauten, als Miss Garises an jenem Mittag vor mir stand, aber sie ahnte wohl, was in mir vorging. Jedenfalls sagte sie: «Eine Möglichkeit gibt es noch.»
Sie hatte recht, eine Möglichkeit gab es noch. Und deswegen stehe ich jetzt vor Ihnen, hohes Gericht. Deswegen sitzen Sie nun dort oben und führen einen Prozess, der manch einem geladenen Zeugen unangenehmer sein dürfte als dem Angeklagten. Sie sollten dem Rechnung tragen. Ihnen muss bewusst sein, dass hier zwei Fälle gleichzeitig verhandelt werden, in denen die Rollen nicht ungleicher verteilt sein könnten.
Zum einen findet hier der Prozess statt, in dem die Staatsanwaltschaft die Anstiftung zum Mord an fünf ehemaligen CCB-Agenten geahndet haben will. In diesem Verfahren bin ich Angeklagter, in dieser Hinsicht erkläre ich mich für schuldig. Verurteilen Sie mich, aber vergessen Sie nicht, dass
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