Die Stunde des Schakals (German Edition)
sind. Und noch weniger, dass sie bei so einer miserablen Faktenlage die Festnahme Achesons prompt der Presse meldeten. Dass er für das CCB arbeitete, wusste ja damals die Öffentlichkeit noch nicht. Man wusste nicht einmal, dass es das CCB überhaupt gab.»
«Und was schließt du daraus?»
«Die Polizei hat von jemandem einen Tipp bekommen. Ich kann mir bloß nicht vorstellen, dass seine CCB-Komplizen, mit denen er die ganze Zeit herumhing, ihn auf diese Weise abservieren wollten. Es war doch klar, dass sie sofort selbst ins Visier der Polizei geraten würden. Was ja dann auch geschehen ist. Wenn aber …»
Angula nahm einen Haufen Papier auf, richtete die Blätter sorgfältig aus und legte den Stoß kantengenau wieder auf den Bodenplatten ab.
«Jetzt sag schon!»
«Wenn jemand ganz anderer Lubowski erschossen hat, ergibt die Sache plötzlich Sinn: Noch bevor die Polizei die leiseste Ahnung hat, was eigentlich gespielt wird, präsentiert man ihr einen Mörder, einen ehemaligen rhodesischen Söldner, dem das Attentat problemlos zuzutrauen ist. Die halbe Welt ist entsetzt über einen Mord, der den gesamten friedlichen Übergang zur Unabhängigkeit in Frage stellen könnte, und nun so ein schneller Fahndungserfolg! Da fragt doch keiner genau nach! Nein, die Polizei nimmt das Geschenk dankbar an und arbeitet sich redlich daran ab, Acheson und Co. zu überführen. Kein Mensch denkt daran, in andere Richtungen zu ermitteln, und die wahren Täter reiben sich die Hände.»
Clemencia ging in die Hocke, um mit Angula auf Augenhöhe zu kommen. Sein Gesicht war unbewegt wie immer. Sie fragte: «Angula, was für einen Fall bearbeiten wir gerade?»
«Was?», fragte Angula.
«Unser Fall», sagte Clemencia. «Drei Morde! Januar 2009!»
«Januar 2009!» Angula nickte. «Und die wahren Täter von damals reiben sich immer noch die Hände.»
Er driftete völlig ab. Sie waren davon ausgegangen, dass die CCB-Leute ermordet worden waren, weil sie Lubowski umgebracht hatten. Wenn sie das nicht getan hatten, gab es auch kein Mordmotiv und somit keinen Grund, sich mit Geschichten aus einem anderen Jahrhundert zu beschäftigen. Zumindest jetzt nicht. Nicht, solange irgendwo da draußen ein Killer mit einer Kalaschnikow herumlief. Später konnte man immer noch …
Angula begann, die ersten Takte der namibischen Nationalhymne vor sich hin zu summen. Land of the Brave, das Land der Tapferen.
«Angula?», fragte Clemencia.
Angula hörte auf zu summen. «Die Melodie ist bei der Trauerfeier für Anton Lubowski entstanden.»
«Was soll das, Angula?»
«… whose blood waters our freedom …», zitierte Angula einen Vers der Hymne und sagte dann: «Nationen werden in Blut geboren. Genau wie Babys. Der Unterschied ist, dass sich das Blut bei Nationen nicht so leicht abwaschen lässt. Es klebt und klebt und …»
«Ich will van Zyls, Marees und Staal Burgers Mörder, nichts anderes!», sagte Clemencia.
Angula sah sie ausdruckslos an.
«Haben wir uns verstanden?»
«Klar, Chefin», sagte Angula und wandte sich wieder den Aktenbergen zu.
Clemencia würde ihn im Auge behalten müssen. Genau wie Robinsons Verhörmethoden und Oshivelos Tendenzen, die Ermittlungen zu steuern, und die Praxis der Telefonzentrale, Notrufe erst mit mehrstündiger Verspätung weiterzuleiten, und Melvins Konflikte mit dem Gesetz und die Sicherheit ihres Neffen Timothy und ihrer Nichte Jessica. Und, und, und. Es war ein bisschen viel auf einmal. Und es war drückend heiß, obwohl sie in ihrem Büro Tür und Fenster aufriss. Die Luft, die durchströmte, schien aus einem Föhn zu kommen.
In kühles Wasser springen, untertauchen, ein paar Züge schwimmen, das wäre jetzt das Richtige! Das letzte Mal hatte Clemencia vor zwei Wochen ins städtische Schwimmbad gehen wollen, war aber gescheitert. Der Bademeister war nicht zum Dienst erschienen, und so mussten die Tore aus Sicherheitsgründen verschlossen bleiben. Clemencia erinnerte sich an Finnland, an die Hallenbäder, in denen immer ein Bademeister da war, an die zugefrorenen Seen, an die endlosen Schneeflächen und daran, dass man am Morgen die Autoscheiben freikratzen musste. Nur einen Moment wollte sie sich gönnen, fünf Minuten, um wenigstens in Gedanken in jene weit entfernte kühle Welt zu reisen, in der die Menschen genauso spät auftauten wie die Natur nach dem endlosen Winter.
Nicht, dass Clemencia dort hätte leben wollen. Zu Hause ist, wo deine Toten liegen, hatte ihr Vater mal gesagt. Clemencias
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