Die Stunde des Schakals (German Edition)
Mutter lag auf dem Friedhof von Katutura. Im glühend heißen Sandboden, im sonnenverbrannten, nach Regen dürstenden Land der Tapferen. Obwohl sie ihn abgewehrt hatte, ging ihr Angulas Satz nicht aus dem Kopf. Nationen werden in Blut geboren. Wie Babys. Aber Namibia war schon ausgewachsen, würde am 21. März den neunzehnten Geburtstag feiern. War es nicht an der Zeit, die Geburtswehen zu vergessen, die Schmerzen, die Opfer?
Oder hatte Angula doch recht? Geisterten die Schatten der Vergangenheit immer noch durchs Land? War es nicht unerträglich, dass sich diejenigen, die ihre Hände mit Blut befleckt hatten, ebendiese Hände bis heute selbstzufrieden rieben? Zu Hause ist, wo deine Toten liegen. Anton Lubowski war ebenfalls auf dem Friedhof von Katutura bestattet worden. Wahrscheinlich nicht weit weg von Clemencias Mutter. Wegen ihres Todes hatte keiner Nachforschungen angestellt. Clemencias Mutter war nur eine einfache Frau gewesen, die zufällig von einer Kugel getroffen worden war. Dazu existierten keine Meter an Akten, da war nicht einmal eine Untersuchung eingeleitet worden. Eine Hundertschaft südafrikanischer Soldaten, deren Namen niemand wusste, ein unglücklicher Querschläger, ein Achselzucken, basta.
Das Telefon mochte schon eine Weile geklingelt haben, als Clemencia es hörte. Am anderen Ende war Anwalt von Fleckenstein, der sie daran erinnerte, dass er zweihundertfünfzig Dollar Kaution ausgelegt hatte. Dann rief Miki Selma an. Wahrscheinlich hatte sie das Geld, das sie für Melvin gesammelt hatte, dazu verwendet, ihr Handy aufzuladen. Sie wollte eigentlich nur wissen, wie es Clemencia gehe. Und dem großen blonden Weißen. Wie sei doch noch gleich sein Name gewesen? Als sie darzulegen begann, dass im Fernsehen gerade dazu aufgefordert worden war, Kondome zu benützen, um sich vor einer HIV-Ansteckung zu schützen, legte Clemencia auf.
Gleich darauf läutete das Telefon erneut. Dass der Polizeikollege aus Südafrika Clemencia überhaupt erreichte, grenzte an ein Wunder. Wie er berichtete, hatte er schon dreimal angerufen, nur um von der Telefonzentrale zu erfahren, dass Clemencia gerade nicht im Haus sei. Wenn sie zurückkäme, würde man seine Bitte um Rückruf aber selbstverständlich sofort weiterleiten. Beim vierten Mal war es offenbar zu lästig geworden, den Anrufer noch einmal abzuwimmeln. Man hatte ihn endlich durchgestellt.
Clemencia ging wie selbstverständlich davon aus, dass es um den Mord an Staal Burger ging, doch davon wusste der Kollege gar nichts. Er saß in Pretoria, Provinz Gauteng, nicht in KwaZulu-Natal.
«Wie sind Sie denn auf mich gekommen?», fragte Clemencia.
Es stellte sich heraus, dass der Detective in derselben Polizeirugbymannschaft spielte wie der Kollege aus Bloemfontein, der Clemencias Anfrage wegen einer DNA-Vergleichsprobe zu Chappies Maree bearbeitete. Auf diese Weise hatte er von den zwei Morden in Namibia erfahren.
«Und als nun mit Ferdi Barnard der dritte ehemalige CCB-Agent im Gefängnis von Pretoria tot aufgefunden wurde, hielt ich es für eine gute Idee, mal nachzufragen», sagte der Kollege. «Zum Glück, denn die Sache mit Burger passt ja dazu wie …»
«Was? Ferdi Barnard ist im Knast ermordet worden?»
«Es sieht nach Selbstmord aus, zumindest auf den ersten Blick», sagte der südafrikanische Kollege. «Das Bettlaken war in Streifen gerissen und zusammengeknotet. Wenn jemand Barnard behilflich war, sich damit aufzuknüpfen, dann kommt nach Lage der Dinge nur sein Zellengenosse in Frage. Ein gewisser Thomas Khawuta, mehrfacher Raubmörder. Der Name ist Ihnen nicht zufällig untergekommen?»
Clemencia verneinte. Dennoch, ob Mord oder Selbstmord, das zeitliche Zusammentreffen mit ihren beiden Fällen und der Hinrichtung Burgers war mehr als seltsam.
«In der Tat», sagte der Südafrikaner am Telefon. «Und etwas anderes ist noch seltsamer. Der letzte Besucher von draußen, den Barnard vor seinem Ableben gesehen hat, kam aus Namibia. Er heißt …, warten Sie mal!» Clemencia hörte Papier rascheln und dann wieder die tiefe Stimme des Polizeikollegen. «… Hendrik Fourie.»
«Wie bitte?», fragte Clemencia. Das war doch nicht möglich!
«Fourie, ein Richter, der Barnard dienstlich aufsuchte.»
«Er ist kein Richter mehr. Er ist schon eine Weile pensioniert», sagte Clemencia. Was um Gottes willen hatte Fourie denn bei Barnard zu suchen?
«Pensioniert? Ach so. Jedenfalls, Sie kennen ihn! Umso besser. Wir würden ihm nämlich gern ein paar
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