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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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nichts Zufälliges, das bedurfte keiner Erklärung, da machte es auch keinen Sinn zu spekulieren, ob etwas als glücklich oder unglücklich zu werten sei. Es geschah, was geschehen musste. Punkt. Und geschehen war, dass er diesen Lastwagenfahrer am Nebentisch reden gehört hatte.
    Er war ihm nachgegangen, hatte ihn angesprochen. Für die Passage hatte er ihm zweitausend Rand geboten, weitere tausend Rand dafür, keine Fragen zu stellen, und noch einmal zweitausend Rand, damit er vergäße, dass er jemanden über zwei Grenzen geschleust hatte. Der Mann hatte genickt und ihm die Hand entgegengestreckt. Er heiße Morgan. So wie Tsvangirai, der neue Premierminister von Zimbabwe.
    «Schöner Name», hatte er geantwortet und die Hand geschüttelt. Er hatte eine Taschenlampe und einen Kanister Wasser gekauft. Zugestiegen war er, sobald der Fahrer das Warenlager verlassen hatte. Am ersten Parkplatz hatten sie angehalten und die Tür des Laderaums geöffnet. Die Kartons waren bis einen halben Meter unter das Wagendach aufgeschichtet. Gartenmöbel, Sonnenschirme, Hollywoodschaukeln, Standventilatoren. Er war hinaufgeklettert und nach innen gekrochen. Ein Ledersofa hatte er nicht gefunden, doch ganz hinten waren verpackte Matratzen gestapelt, auf denen er sich einigermaßen bequem ausstrecken konnte. Dann hatte Morgan die Tür verriegelt, und seitdem war es Nacht.
    Die Taschenlampe knipste er am Anfang an, um die Kalaschnikow zusammenzubauen. Dann nur noch, wenn er trinken musste. Das war schwierig, da er den Oberkörper kaum aufrichten konnte, ohne mit dem Kopf am Blechdach anzustoßen. Doch trinken musste er, wenn er nicht in der Hitze vertrocknen wollte.
    Sonst fühlte er sich wohl. Im Dunkeln eingesperrt zu sein behagte ihm. Es machte alles gleich. Ob man die Augen öffnete oder schloss, ob man wach lag oder schlief, ob man tot war oder lebte, stellte kaum einen Unterschied dar. Er fragte sich, warum die Menschen vor dem Tod so große Angst hatten. Und fast noch mehr bei der Vorstellung, lebendig begraben zu werden. Er fand keine Antwort. Er konnte sich nicht einmal erinnern, ob er früher auch einmal diese Angst gekannt hatte.
    Wenn er nicht husten musste, schlief er oder dämmerte in jenem Zwischenreich von Wachsein und Schlaf dahin, das die Gedanken träge werden ließ, bis sie zu seltsamen Gebilden erstarrten, die ihm nichts sagten und nichts bedeuteten. Den Grenzübertritt von Südafrika nach Botswana bekam er überhaupt nicht mit. Er schreckte erst hoch, als an die Seitenwand des Lasters gehämmert wurde und Morgans Stimme fragte, ob er sich mal die Beine vertreten wolle. Sie seien hinter Sekoma, und ringsum gäbe es nur Wüste und Salzpfannen. Es bestehe keinerlei Gefahr.
    Er sagte: «Nein, nicht nötig.»
    Ob er nicht ein Bier wolle? Oder mal pinkeln müsse?
    Er antwortete nicht, und ein paar Minuten später fuhren sie weiter. Er schlief, er hustete, er trank warmes Wasser. Irgendwann hielt der Laster wieder an. Der Motor ging aus, und Morgan öffnete die Tür des Laderaums. Er müsse jetzt ein paar Stunden schlafen. Außerdem öffne der Grenzübergang nach Namibia sowieso erst um 7 Uhr morgens.
    Dagegen konnte man nichts machen. Er ließ die Kalaschnikow liegen und kletterte über die Kartons nach draußen. Verglichen mit dem Schwarz im Lastwagen war die Nacht hell. Morgan trank ein Bier aus der Dose und beklagte sich darüber, dass er kaum noch Fahrten nach Zimbabwe bekäme, weil dort alles zusammengebrochen sei und keiner mehr Möbel kaufe. Für ihn sei das verdammt schade, denn für eine Handvoll Devisen könne man dort die schönsten Frauen haben. Er habe schon Geschichten erlebt, die glaube ihm keiner. Einmal zum Beispiel in Bulawayo …
    «Ich will das nicht hören», unterbrach er.
    «Ist ja gut, Mann», sagte Morgan.
    «Ich will überhaupt nichts hören», sagte er und ging, als sich Morgan nach einem zweiten Bier endlich in die Fahrerkabine gelegt hatte, ein paar hundert Meter in die Wüste hinein. Die Sterne standen bis zum Horizont herab. Es war totenstill. Nicht einmal irgendwelche Nachttiere ließen sich vernehmen. Er setzte sich auf den Boden und wartete, ob ein Kalahari-Löwe vorbeikäme. Mit dem würde er sich vielleicht unterhalten.
    «Wie laufen die Geschäfte?», würde er fragen.
    «Geht so. Und selbst?», würde der Löwe sagen.
    «Alles im Soll.»
    «Na dann, Weidmannsheil!»
    «Weidmannsdank!»
    Er hustete anhaltend und krümmte sich dabei nach vorn. Danach ging es besser. Irgendwann wurde

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